Mönchengladbach Von Liebe, Hass, Gewalt und Untergang

Rheydt · Schillers Drama „Die Räuber“ feierte in der Inszenierung von Matthias Gehrt eine umjubelte Premiere. Mehr als 230 Jahre nach seiner Uraufführung kommt die Handlung zeitgemäß daher. Die Themen haben sich nicht verändert.

 Joachim Henschke als Graf von Moor mit seinen Söhnen Franz (Henning Kallweit l.) und Karl (Philipp Sommer).

Joachim Henschke als Graf von Moor mit seinen Söhnen Franz (Henning Kallweit l.) und Karl (Philipp Sommer).

Foto: Matthias Stutte

Dieser Moment ist herzzerreißend: Der vermeintlich tote alte Maximilian Graf von Moor entsteigt der Bühne. Auf bloßen Füßen, leicht schwankend, schutzlos und verletzlich in seinem weißen Totenhemd steht er in all seiner bitteren Verzweiflung da und beklagt sein grausames, unabwendbares Schicksal. Zwei Söhnen, Karl und Franz, hat er das Leben geschenkt, in der Stunde seines Todes wird keiner von ihnen da sein, um ihm die Augen zu schließen. Joachim Henschke rührt in diesem Augenblick manchen Zuschauer zu Tränen. Kaum zu ertragen ist sein grenzenloses Leid. Großartig, diese Leistung von Joachim Henschke!

Die Szene gehört zu den vielen emotionalen Höhepunkten des Dramas „Die Räuber“, das Matthias Gehrt für das Theater inszeniert hat. Die Premiere auf der Großen Bühne wurde frenetisch gefeiert. Karl (Philipp Sommer), der erstgeborene Sohn, wird von seinem Vater über alle Maßen geliebt. Franz (Henning Kallweit), der eifersüchtige jüngere Bruder, intrigiert gegen Karl, hofft auf seines Vaters Erbe und die Hand der schönen Amalia (Vera Maria Schmidt). Die ist allerdings bis zur Selbstaufgabe in Karl verliebt. Franz fälscht einen Brief seines Bruders, stellt ihn darin als üblen Frauenschänder, Mörder und Banditen dar. Der Graf lässt sich von Franz überreden, Karl zu verbannen und zu enterben. Der Bruderzwist eskaliert, das Ende kann nur tragisch sein.

Nur sechs Schauspieler agieren auf der Bühne, bis auf Joachim Henschke schlüpfen alle anderen in mehrere Rollen. Neben den Genannten sind das Adrian Linke und und Ronny Tomiska. Die Wechsel geschehen vor den Augen der Zuschauer. Kostüme und Perücken hängen an aufgereihten Kreuzen bereit, in einem Einkaufswagen stapeln sich Pistolen und Gewehre. Die am Ende lautstark zum Einsatz kommen werden.

Uraufgeführt wurde Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ am 13. Januar 1782 in Mannheim. Matthias Gehrt hat die Tragödie von ursprünglich fünf auf zweieinhalb Stunden gekürzt. Umso intensiver ist der Handlungsablauf. Und erstaunlich aktuell sind die Themen: die Rivalität zweier Brüder, Machtansprüche, Liebe, Eifersucht, Geldgier, Berechnung, Gewalt, Lug und Betrug.

Mit unglaublicher Spielfreude agieren die Schauspieler auf der Bühne. Das geht so weit, dass der temperamentvolle Henning Kallweit in einer Szene fast in den Orchestergraben rollt. Helfende Hände aus der ersten Reihe retten ihn vor dem Sturz in die Tiefe. In einer anderen Szene, in der er seine Machtansprüche als neuer Graf von Moor hinausbrüllt, erinnert er in seinem Gestus und seiner Wortwahl frappierend an den US-Präsidenten Donald Trump. Philipp Sommer ist als Hauptmann brillant, seine Räuber sind echte Haudegen. Es macht einfach Spaß, sie zu erleben. Und das Stück ist bis zur letzten Minute ausgesprochen spannend.

Die Bühne muss erwähnt werden: Garbriele Trinczek hat einen tiefen, schwarzen, von parallel gereihten Neonröhren beleuchteten Raum geschaffen. Das gräfliche Wohnzimmer befindet sich auf einer zweiten Bühne, die nach Bedarf von den Schauspielern vor- und zurückgerollt wird. Über dem Kamin hängt ein Gemälde, das Karl als Kind mit niedlich-lockigem Haar zeigt. Zum Ärger von Franz, dem ungeliebten zweiten Sohn. Verborgene Lautsprecher entsenden Psychedelisches von Pink Floyd und Anarchisches von Ton Steine Scherben.

Die Vorstellung begeistert, fast zehn Minuten lang applaudieren die Zuschauer, erheben sich voller Respekt. Die Akteure haben es verdient. Chapeau!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort