Beuys-Jahr im Theater Mönchengladbach/Krefeld „Beuys würde heute vieles anders sagen“

Interview · Der Regisseur und Theatermacher Sebastian Blasius konzipiert eine Beuys-Produktion fürs Theater. Ein Gespräch über Kunst, Küche und neue Erkenntnis.

 Joseph Beuys: Hut an der Garderobe. Der Hut war das Markenzeichen des Künstlers. Das Foto von Gottfried Evers entstand als Auflage für das Museum Kurhaus Kleve.

Joseph Beuys: Hut an der Garderobe. Der Hut war das Markenzeichen des Künstlers. Das Foto von Gottfried Evers entstand als Auflage für das Museum Kurhaus Kleve.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Fett. Filz. Hut. Drei Dinge fallen jedem Mönchengladbacher gleich ein, wenn es um Joseph Beuys geht: Am 12. Mai 1921 wurde Joseph Beuys in Krefeld geboren. Seine ersten Monate wohnte er mit seinen Eltern im Haus am Alexanderplatz 5. „Beuys‘ Küche“   heißt eine Produktion des Theaters, mit dem das Jubiläumsjahr zum 100. Geburtstag des Künstlers beginnen soll. Die Premiere kann wegen des Lockdowns nicht wie geplant am 30. Januar auf der Bühne stattfinden – es wird einen kostenlosen Live-Stream geben, der am ursprünglichen Premierentag ab 19.30 Uhr über die Homepage des Theaters zu sehen ist. Sebasttian Blasius hat „Beuys‘ Küche“ konzipiert und inszeniert.

Beuys’ Todestag jährt sich heute zum 35. Mal. Sie sind Jahrgang 1979, also zu jung, um Beuys persönlich getroffen zu haben. Aber können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit seiner Kunst erinnern?

Blasius Ja, das war während meiner Schulzeit. Als Heranwachsender, der beginnt, sich von Kunst ansaugen zu lassen, ist es in Krefeld nicht schwierig, Beuys zu rezipieren. Da ist die Barraque d’Dull Odde im Kaiser-Wilhelm-Museum. Aber es gibt auch in Pax Christi Beuys‘ Samurai-Schwert und dazu weitere Arbeiten, die Beuys kontextualisieren: von Felix Droese, Ewald Mataré  - und Günther Ueckers Nagelboot. Die stehen hier stark unter christlichen Vorzeichen, etwa mit einem Fokus auf die Thematik der Verwundbarkeit, aber gerade dieses Thema ist Beuys ja sehr nah. Meine Französischlehrerin hat mein Interesse damals mit entsprechenden Büchern unterstützt. Später bin ich Beuys in Düsseldorf und in Moyland begegnet. Auch wenn er für mich nicht immer im Fokus stand, war er da.

Was hat Sie damals an seiner Kunst so fasziniert ?

Blasius Es war die Rätselhaftigkeit der Arbeiten. Aber es war auch eine Faszination für das Material:   dieses Graue, Farblose, Lädierte und Beschädigte. All das wirft Fragen auf, die man sich auch als Heranwachsender stellt. Und Beuys hat mich auch in meiner künstlerischen Arbeit im Hintergrund immer begleitet.

Und dann kommt das Theater mit dem Auftrag, etwas zum Beuys-Jahr zu machen. Wo fängt jemand an, der wie Sie aus solcher Beuys-Fülle schöpfen kann?

Blasius Ende Januar 2020 hat mich Matthias Gehrt angesprochen für ein Projekt, das aus der Reihe fällt, es sollte kein Bio-Clip werden, sondern den Geist von Beuys atmen.

Sie mussten Position beziehen, wie Sie zu Beuys stehen.

Blasius In meiner Arbeit nehme ich ja immer wieder Bezug zur Bildenden Kunst – auch bei meiner Performance zu „bauhaus 100“ im Schütte-Pavillon. Und Beuys begleitet mich in Vielem. Der Darmstädter Beuys-Block, die Installation in sieben Räumen, die er noch persönlich eingerichtet hat, war für mich eine nachhaltige Erfahrung. Ich habe mich tief in den Kosmos eingearbeitet, viele Gespräche  mit Experten und Expertinnen geführt, recherchiert – zunächst ergebnisoffen. Dann gibt es diese Stolpermomente, die inspirieren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Blasius Da sind zum Beispiel gewisse Ungereimtheiten zwischen dem, was Beuys formuliert hat, und meinen Seh-Erfahrungen, die teilweise recht anders sind. Oder die These der Kunsthistoriker, dass Beuys‘ Selbstinszenierung als Hirte oder Schamane nur im Kontext der Geschichtsvergessenheit des Nachkriegsdeutschlands funktionieren konnte. Daran kann man knabbern.

Dann vertrauen Sie Beuys‘ Aussagen nicht?

Blasius Da gibt es eben viele offene Fragen. Ich glaube, dass Beuys vieles heute anders sagen würde, weil sich Gesellschaft und der Kapitalismus verändert haben. Es ließe sich diskutieren, ob seine Plädoyers für das Aufbrechen von Verkrustungen und Routinen nicht inzwischen die Imperative des Neoliberalismus sind, so dass man sie wieder neu denken müsste. Und ich frage mich, wie nah oder fern er als Verkünderfigur heutigen Personen ist, die sich strategisch inszenieren: Influencer, populistische Politiker  oder Verschwörungstheoretiker.

Was hat uns Beuys denn heute noch zu sagen?

Blasius Lange bevor Umwelt und Klima  konsensfähiges Thema wurden, war er Vorreiter mit seinen Aktionen. Aber seine stärksten Setzungen sind nicht die politischen wie die direkte Demokratie, sondern der erweiterte Kunstbegriff. Er hat im Museum etwas gemacht, was nicht nach Kunst aussieht, und alles, was draußen passierte, zur Kunst erklärt. Das konnte auch Kohlrabischneiden sein. Diese Radikalität, Kunst und den Kunstbegriff in Frage zu stellen, ist es. Beuys hätte es nie genügt, sich im Bestehenden zu bewegen, um es zu verbessern. Bei ihm blieb kein Stein auf dem anderen. Konkret: Es reicht nicht, Flüchtlinge zur Behörde zu begleiten; die Behörde müsste geändert werden.

Wir sollten von Beuys also Radikalität lernen?

Blasius Die Verkrustungsmentalität aufbrechen. Beuys‘ Forderung nach Öffnung und Mobilität oder Nomadentum und das Freisetzen kreativer Potenziale hat sich der Kapitalismus längst angeeignet. Diese Dinge müssen wir der ökonomischen Verwertung wieder enteignen.

Das heißt, Kreativität und Mobilität als freiwillige geistige Haltung und nicht als gesellschaftlicher Druck, um mitzuhalten?

Blasius Ja, kein ökonomischer Imperativ. Es geht ja auch um die Frage, wie das gelingen kann, wenn man es sich nicht leisten kann. Das schafft Unsicherheiten und Ängste, und das wiederum kann dem Rechtspopulismus den Weg bereiten. Da würde sich ein Blick zu Beuys lohnen.

Sein Werk spricht also nicht nur im Kontext seiner Zeit?

Blasius Jeder ist immer auch ein Produkt dessen, womit er sich beschäftigt. Beuys  ist nicht das vom Himmel gefallene Genie. Im Gegenteil. Er hat Nietzsche und Steiner rezipiert, sich intensiv mit der Renaissance beschäftigt, Motive von Marcel Duchamp aufgegriffen. Das will ich auch in „Beuys‘ Küche“ zeigen. Man wird auch an Christoph Schlingensief nicht vorbeikommen. Es geht um die Themen und Materialien, die Beuys in seiner Küche verbraten hat.

Das Bild der Küche ist herrlich vieldeutig: Es beinhaltet den Experiment-Charakter, Versuchslabor, aber auch Giftküche und auf der anderen Seite einen vertrauten, sehr persönlichen Ort, wo am Tisch vielleicht beim gemütlichen Essen die großen und kleinen Dinge der Welt verhandelt werden.  Sind Sie durch die intensive Beschäftigung mit Beuys dem Menschen näher gekommen? Oder hat sich Ihr Beuys-Bild verändert?

Blasius Ich sehe sein Werk ambivalenter und differenzierter. Beuys beherrschte eine präzise Mehrdeutigkeit. Die Tiere in seinem Werk sind nicht beliebig. Hasen  und Bienen tauchen in christlichem und mythologischem Kontext auf. Das ist kein Zufall, sondern zeigt Beuys‘ extreme Treffsicherheit. Das gilt auch für die Wahl seines Materials, Fett und Filz. Fett wird bei Wärme fluide. Akkumulieren und Verflüssigen, das lässt sich auch auf Prozesse und Stillstand der Gesellschaft übertragen. Und Filz, was ist das? Haare! In der Verbindung mit Fett steht das für die Bearbeitung des Holocaust. Das hat er selbst so nie gesagt. Aber meines Erachtens schwingt das im Beuys-Oeuvre immer mit. Und Filz dämmt die Akustik eines Raums, Fett hat eine ähnliche Wirkung im Zusammenspiel mit Licht. Es ist ein Prisma an Bezugnahmen – so präzise und komplex. Das habe ich vorher nicht so gesehen.

Stellen wir uns vor, Sie träfen Beuys in seiner Küche und dürften ihm eine einzige Frage stellen: Welche wäre das?

Blasius Oh, da würden mir viele einfallen. Wenn ich mich entscheiden muss, dann wüsste ich gerne, ob er heute immer noch sagen würde, dass der Einzelne durch seine Potenziale und Kreativität eine Veränderungsmöglichkeit der Gesellschaft hat – angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse auf diesem Planeten, Finanzkapitalismus und Globalisierung. Würde er immer noch Mensch plus Kreativität als Quelle der Veränderung sehen oder hätte er kapituliert? Um im Bild zu bleiben: Würde er Haken schlagen – er hat sich selbst ja als Hasen gesehen.

 Sebastian Blasius sieht in der Verwendung von Filz und Fett Beuys’ Bearbeitung des Holocaust.

Sebastian Blasius sieht in der Verwendung von Filz und Fett Beuys’ Bearbeitung des Holocaust.

Foto: Jan Dieter Schneider

Wären Sie als Künstler mit ihm per Du oder per Sie?

Blasius Das Du lässt sich nicht vermeiden. Andererseits: Er ist eine so starke Figur der 60er und 70er Jahre, und es gibt noch  so viele ungelöste Fragen…. Als insgeheimer Rezipient habe ich für meine Arbeit  festgestellt: Er ist mein Sozius, von dem ich nicht wusste, dass er dort sitzt.

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