Mönchengladbach Musikschüler lernen Bühnenpräsenz
Mönchengladbach · Wie betrete ich die Bühne, wie bewege ich mich, wie begrüße ich das Publikum: Besonders begabte Schüler der Musikschule lernen, dass es nicht reicht, das Instrument zu beherrschen. Auch die Körpersprache muss stimmen.
Niklas sitzt auf dem „heißen Stuhl“ mitten auf der Bühne. Seine Aufgabe: Der 16-jährige soll 40 Sekunden lang einfach nur ins Publikum schauen. Wie lang diese Zeit werden kann, das erleben die vier Teilnehmer des Workshops „Bühnenpräsenz“ an der Musikschule. Das Mädchen vor Niklas hat bereits nach 20 Sekunden den Blick abgewendet. Niklas hält zwar durch. Aber seine Hand nestelt erst am Bund des Pullis. Dann streicht sie über sein Cello, als sei es ein nervöser Hund, den er beruhigen muss.
„Bei dieser Übung lernt ihr auszuhalten, dass 100 oder mehr Augenpaare auf euch gerichtet sind, die jede Bewegung und jeden Atemzug sehen“, erklärt Lara Diez, Theater- und Ballettlehrerin an der Musikschule. Zusammen mit Schulleiter Christian Malescov leitet sie den Workshop. Für die vier Teilnehmer ist Bühnenpräsenz ein wichtiges Thema. Sie sind Stipendiaten der S-Klasse – einer Spitzenförderung für besonders begabte Schüler, die auf dem Weg zu einer Bühnenkarriere sind.
„Ich gucke vor einem Konzert nicht gerne ins Publikum“, sagt Viktoria. „Das würde mich verunsichern.“ Auch Eva beschäftigt sich nicht viel mit ihren Zuschauern. „Es lenkt mich nur vom Spielen ab“. Beides ist verständlich, aber Lara Diez gibt zu bedenken: „Dann könnt ihr auch im stillen Kämmerlein spielen.“ Für Malescov ist der Respekt des Musikers vor dem Publikum das A und O. Dazu gehört für ihn auch, Kontakt mit den Zuschauern aufzunehmen, sich gut zu kleiden und nicht auf die Bühne zu schlurfen. „Euer Auftritt beginnt nicht mit dem ersten Ton“, sagt er, „sondern wenn ihr die Treppe zur Bühne hochgeht.“
Als Sophie kurz darauf burschikos und mit hängenden Armen auf die Bühne stapft, schüttelt Lara Diez den Kopf. „Keine Monkey-Arme bitte. Stell dir vor, dir wachsen Engelsflügel aus den Schultern“, rät sie. Sofort richtet sich die 15-jährige auf. Die Trainerin gibt ihr schwarze Stöckelschuhe. Sophie sieht zwar witzig aus in High Heels und Tennissocken. Aber in ihnen geht das Mädchen deutlich weicher und damenhafter – und lächelt dabei. Auch als Sophie übt, wie ein Model auf einer Linie zu laufen, macht ihr das sichtlich Spaß. Wer auf der Bühne steht, muss sich und seinen Körper präsentieren. Das ist gerade für Jugendliche nicht immer leicht.
„Viele üben nur das Stück, das sie vortragen“, sagt Malescov. „Wie man sich auf der Bühne bewegt, damit werden Schüler oft allein gelassen.“ Dabei müsse man diese Konventionen genauso üben wie die Tischregeln in einem schicken Restaurant. Deshalb gehört es zum Konzept der Musikschule, dass alle Schüler Gelegenheit zum Vorspielen haben. Und dass jeder Lehrer seine Schüler dabei anleitet. Wer einmal gelernt hat, wie er auf die Bühne geht, das Publikum begrüßt und sich verbeugt, der muss darauf beim Auftritt keine große Energie mehr verschwenden.
Bei der nächsten Übung soll Niklas auf die Bühne kommen, sein Stück ansagen und spielen. Er spricht undeutlich, schnauft mehrmals laut, verbeugt sich ungelenk und hastet von der Bühne. „Man merkt dir deinen Stress an“, sagt Malescov ohne Umschweife. „Und deine Ansage war genuschelt.“ Niklas grinst, die anderen lachen. Auch das ist eine wichtige Erfahrung: Niemand muss auf Anhieb perfekt sein. „Scheitere heiter“, so nennt Lara Diez es. Wer weiß, wie er wirkt, gewinnt dadurch Selbstbewusstsein und Sicherheit.
„Bei Lampenfieber geht es im Kern immer um die Angst zu versagen“, sagt die Lehrerin. Das beste Rezept dagegen: möglichst oft auf die Bühne gehen. Am Ende darf daher jeder noch einmal auftreten. Niklas geht jetzt ruhig hoch, er lächelt kurz ins Publikum, sagt sein Stück deutlich an. Dann richtet er sich in Ruhe am Cello ein, atmet noch einmal durch und beginnt zu spielen.
„Eigentlich trete ich sehr gerne auf“, sagt er. Ein großes Stück zu spielen hat für ihn „Magisches, weil die Musik selbst mir die Energie dafür gibt. Es ist ein cooles Gefühl, wenn diese Energie auch auf das Publikum übergreift.“