Werke von Rachmaninow und Prokofjew Große und großartige Klänge – auch das Auge hört mit

Mönchengladbach · Gastdirigent Marcus Bosch leitet zwei Werke russischer Komponisten im vierten Sinfoniekonzert der Niederrheinischen Sinfoniker. Das Publikum ist begeistert.

 Pianist Konstantin Emelyanov ist zu Gast in Rheydt.

Pianist Konstantin Emelyanov ist zu Gast in Rheydt.

Foto: Olympia Orlova

Es war sicher das politisch heikelste Sinfoniekonzert der Saison, vielleicht aber auch das schönste. Die Rede ist vom Gastspiel des Dirigenten Marcus Bosch bei den Niederrheinischen Sinfonikern und dessen Rheydter Aufführung im Konzertsaal des Theaters.

Zu Ohren des treuen Publikums kam nämlich Musik aus Russland, als Solist agierte ein Russe am Klavier – das ist in diesen von Krieg und Propaganda kontaminierten Zeiten alles andere als selbstverständlich. Nun spielte allerdings Konstantin Emelyanov, aktueller Gewinner des Deutschen Pianistenpreises, seinen Rachmaninow und dessen 3. Klavierkonzert derart liebens- und nachgerade anbetungswürdig, dass sich Fragen nach political correctness angesichts der Kunst in Wohlgefallen auflösten. Der junge Pianist, geboren 1994,  geht ohne jede Allüre ans Werk, bringt vollgriffige Akkordpassagen treffsicher in den Flügel, mäandert virtuos durch Tongirlanden, entdeckt immer noch eine Mittelstimme im vollregistrierten Berg der Töne. Musikalität ist dem etwas scheu wirkenden hageren Mann so eigentümlich, dass Marcus Bosch am Pult nur aufmerksam zu sein braucht, damit das vollbesetzte Orchester angemessen begleiten kann. Immer wieder fällt das Holz in die Klavierkantilenen ein, mal dürfen die Hörner sich supersoft hinzuschmiegen.

Regelmäßig aber lässt der international gefragte Dirigent, der von Aachen über Nürnberg inzwischen in der Musikhochschule in München angekommen ist, den Niederrheinern Spaß am großen, nachromantischen Tuttiklang. Dann ist Hollywood nicht fern, auch wenn der Steinway hörbar schwächelt. Hörbar macht sich auch eine Tür beim Auftritt des Solisten bemerkbar. Ihr peinliches, das Publikum zum Schmunzeln bewegende Quietschen konkurriert mit der bleckend roten Farbe des die Bühne abschließenden Samt-Vorhangs, bei dessen Erschauen der bekennende Synästhet Rachmaninow sicher erschaudert wäre. Das Auge hört mit.

Desungeachtet verfehlte ebenfalls Prokofjews „Fünfte“ ihre grandiose Wirkung nicht. Prokofjew treibt seine Liebe zu extremen Klangmischungen ins Extrem, entfacht ein Zwiegespräch zwischen Trompete und Fagott, kombiniert Tuba und Piccolo, zeigt ausgiebige Freude an weitgespannten Unisono-Passagen der höchsten Geigen mit den Kontrabässen. Nicht nur die Tuba ist vielbeschäftigt, auch das Schlagwerk mit unter anderem Tamtam und Großer Trommel leistet Großes beim bisweilen martialischen Treiben.

Aber Prokofjew ist auch ein Feingeist, ein Formen- und Farben-Erfinder mit Avantgarde-Ambition. Diese Mischung ist ungemein anregend, gerade wenn sie zwischen dem sachlich-impulsiven Bosch und den hochengagierten Niederrheinischen Sinfonikern verhandelt wird. Das Publikum zeigte sich begeistert.

(ark)
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