Interview mit Sopranistin Sophie Witte „Rusalka ist eine meiner herausforderndsten Rollen“

Interview | Mönchengladbach · Die Sopranistin hatte wenig Zeit zu Proben, musste Tschechisch lernen und ist Hauptdarstellerin in Antonín Dvoráks Oper, die vom Theater als perfides Psychodrama inszeniert wurde. Ein Gespräch über eine aufreibende Zeit.

Sophie Witte spielt die Rusalka in Antonín Dvorák gleichnamiger Oper.

Sophie Witte spielt die Rusalka in Antonín Dvorák gleichnamiger Oper.

Foto: Simon Erath

Frau Witte, Sie singen sonst auf Italienisch, Französisch und Deutsch. Rusalka ist eine tschechische Oper. Wie war das für Sie?

Sophie Witte Die Sprache hat mir wahnsinnig viel Arbeit gemacht. Slawische Sprachen sind mir fremd geblieben. In der Schule hatte ich kein Russisch mehr, was dem Tschechischen sehr nahe liegt und damit sehr geholfen hätte. Aber so musste ich bei Null anfangen.

Wie lernt man in einem halben Jahr Tschechisch?

Witte Zu sagen, dass ich die Sprache spreche, wäre übertrieben. Aber ich verstehe, was ich singe. Wie bei italienischen und französischen Opern übersetze ich die Partien erst einmal Wort für Wort und schaue mir die Grundzüge der Grammatik an. Das hat für Rusalka wahrscheinlich drei Mal so lang gedauert – zu Beginn waren das für mich erst mal völlig sinnlos aneinandergereihte Buchstaben. Da beschlich mich zwischendurch schon mal eine leichte Panik. Irgendwann hat es Klick gemacht und es lief. Aber Vokabeln lerne ich immer noch. Und die werde ich wahrscheinlich bis zur letzten Vorstellung wiederholen.

Haben Sie vom Theater Hilfe bekommen?

Witte Ja, eine tschechische Sprachlehrerin hat uns bei der Aussprache geholfen. Das war sehr hilfreich, um Nuancen auszuarbeiten. Tschechisch ist gespickt mit Konsonanten. Es gibt Wörter, die keinen einzigen Vokal haben. Als ich das erste Mal vor dem Klavierauszug saß, habe ich mich ziemlich amüsiert gefragt, wie ich Worte wie „smrt“, das tschechische Wort für Tod, in lang gehaltene Noten gießen soll. Zum Glück konnte mir unsere Lada, unsere Sprachlehrerin, erklären, dass die Tschechen selber tricksen und einen Vokal einsetzen, also „smirt“ singen.

Ist es schwieriger, Tschechisch zu sprechen oder zu singen?

Witte Tatsächlich fällt mir das Singen leichter. Der Sprachfluss ist beim Singen deutlich leichter zu gewährleisten, weil die Musik bei der Aussprache hilft. Musik und Sprachmelodie sind so miteinander verwoben, dass sie eigentlich untrennbar sind. Deswegen singen wir Rusalka auf Tschechisch, weil es ist wahsninnig schwierig ist, Opern zu übersetzen. Ich habe bisher, unabhängig von der Sprache, kaum eine übersetzte Oper gehört, die stimmig klingt.

Sie haben die Rolle der Rusalka von Dorothea Herbert übernommen, die nicht mehr zum Ensemble gehört. War es schwierig, später Teil dieser eingespielten Gruppe zu werden?

Witte Zu Beginn schon. Alle anderen hatten sich bereits in ihre Rollen eingefunden. In den Proben probiert man vieles gemeinsam aus und guckt, was sich daraus entwickelt. Diesen Prozess können wir jetzt in den Wiederaufnahmeproben nicht durchleben, weil die Zeit dafür fehlt. Aber auch das wird am Ende funktionieren. Und schon lange war es mein Traum, die Rusalka zu singen. Schon als Teenager gehörte Rusalka zu den Aufnahmen, die ich mir immer wieder in der Bibliothek ausgeliehen habe.

Wie hat das Theater die Oper interpretiert?

Witte Märchenopern sind damals schon symbolträchtig gewesen und eignen sich deswegen gut, sie nicht märchenhaft zu interpretieren. Das hat auch unser Regisseur Ansgar Weigner gemacht: Die Waldhexe Ježibabo wird bei uns zu Rusalkas Mutter, die am Münchhausen-Stellvertreter Syndrom leidet, sie macht ihre Tochter also absichtlich krank, um eine Abhängigkeit herzustellen und selbst die Rolle einer scheinbar liebe- und aufopferungsvoll Pflegenden zu übernehmen. Rusalka wird schlecht ernährt, sie sitzt im Rollstuhl, obwohl sie laufen kann. Dadurch, dass Ježibabo und die fremde Fürstin in Personalunion gesungen werden, nimmt die Oper einen perfideren Verlauf. Da schaudert es mich regelmäßig in den Proben.

Das klingt nach schwerem Stoff.

Witte Ist es auch, Rusalka ist eine sehr intensive Rolle. Nach den Proben bin ich gerädert und ich brauche mindestens zwei Stunden, bevor ich mich schlafen legen kann. Die Gedanken und Gefühle lassen sich nicht so leicht abschütteln. Manchmal wache ich auch morgens schon sehr unruhig auf.

Ist es bei solchen Rollen Fluch oder Segen, empathisch zu sein?

Witte Das ist eine Gratwanderung. Während der Proben versuche ich, mich so gut wie möglich in die Rolle hineinzuversetzen und die schwierigen Gefühle anzunehmen. Je näher die Premiere rückt, distanziere ich mich aber wieder. Bis dahin beobachte ich, was diese Gefühle mit meinem Körper und meinen Bewegungen machen, um diese Stimmung zu transportieren, auch wenn ich sie mal nicht fühle. Ich habe festgestellt: Je mehr man sich auf der Bühne hineinsteigert und leidet, desto schwieriger ist es, eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Ich denke das hängt damit zusammen, dass man dann zu sehr bei sich bleibt.

Kommt nach Rusalka jetzt erst mal eine einfachere Rolle?

Witte Nach viel Tragik tut es gut, eine Partie in einer komischen Oper zu singen. Trotzdem möchte ich die Erfahrungen nicht missen. Wir haben auf der Bühne das Privileg, uns eine eigene nicht-existente Welt zu kreieren und eine Weile in ihr zu leben. Wir wissen aber auch, dass wir aus dieser Welt wieder austreten können. Deswegen spiele ich gerne Rollen, die mich mitnehmen, auch wenn sie schwierig sind. Außerdem haben diese Opern die mitreißendsten und zu Herzen gehendsten Arien. Und die singe ich am allerliebsten.

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