Mönchengladbach Wenn nichts ist, wie es scheint

Mönchengladbach · Malerei, die so tut, als sei sie Skulptur, ein Boxsack, den nur der Künstler hauen darf, eine Palette, die zum Gesicht wird: Der Rudolf-Boetzelen-Silo des Kunstvereins MMIII ist wieder einmal zum besonderen Kunst-Ort geworden.

 Der israelische Künstler Roy Mordechay vor seiner großen halbrunden Arbeit auf der oberen Ebene des Rudolf-Boetzelen-Silos.

Der israelische Künstler Roy Mordechay vor seiner großen halbrunden Arbeit auf der oberen Ebene des Rudolf-Boetzelen-Silos.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Die ersten Schritte führen sogleich zu einem Boxsack. Ein Gesicht ist darauf zu erkennen – exakt auf Augenhöhe des Betrachters. Der ist gewillt, dem Kerl ein paar auf die Nase zu geben. Aber das gehört sich nicht für den Besucher einer Ausstellung. Nur der Künstler selbst darf das. Und das hat er getan. Roy Mordechay hat dem von ihm geschaffenen Kunstwerk eine geballert. Und – zack – ist die Lippe aufgeplatzt. „Shaped Figure“ (Geformte Figur) heißt die neue Ausstellung, die am heutigen Samstag, 4. Mai, um 19.30 Uhr im Rudolf-Boetzelen-Silo an der Künkelstraße 125 eröffnet wird. Der Kunstverein MMIII hat Kurator Wilko Austermann mit der Realisierung betraut. Er hat die Künstler ausgewählt.

Roy Mordechay ist einer von sieben. Zwei weitere Arbeiten sind von dem israelischen Künstler zu sehen. Eine sehr kleine vis-à-vis des Eingangs – „Pallete Mood“ heißt sie. Und tatsächlich handelt es sich um einen Teil der Palette, auf dem Mordechay seine Farben gemischt hat. Die Holzplatte hat er geschliffen, zwei Augen-Löcher hinein gebohrt und einen runden offenen Mund. Die Platte ist auf einer Gasbeton-Form montiert. Und wer genau hinsieht, wird in dem Mundloch das Foto eines antiken Kopfes und an der rechten Seite der Betonfassung eine stützende Hand entdecken.

In der oberen Etage des Silos geht die Sonne auf. Oder ist es die Hälfte der Erdkugel, auf der sich allerlei tut? „Ich bin fasziniert von dem Licht in diesen Räumen“, sagt Mordechay. Deshalb lässt er beide Deutungen zu. Auf dem Halbrund der Leinwand ist der Alltag ausgebrochen. Eine männliche Figur windet sich schlangenartig auf dem gekachelten Untergrund. Ein anderer sitzt und tut – was? „Ich spiele mit der Komposition“, sagt der Künstler. Ja, so sieht’s aus. Da bekommt der Stuhl menschliche Züge, die Wolken tragen Gesichter, auch die Kaffeetasse, die mächtig Dampf ablässt. Es gehe ihm um Alltag und Arbeit. So erklären sich Handys und Laptop. Und an einer Stelle ist ganz winzig das Porträt eines orthodoxen Juden zu sehen.

Wieder einmal ist das alte Fabrikgebäude zum besonderen Kunst-Ort geworden. Neben Mordechays Arbeiten sind Werke von Robert Brambora, Thorben Eggers, Carolin Eidner, Vivian Greven und Astrid Styma zu sehen. Und wenn der Besucher meint, einen Elektrokasten, einen Spind und eine Art Schaltfeld zu entdecken, die sich wie selbstverständlich in die Industrieanlage einfügen, dann täuscht er sich gewaltig. Beziehungsweise Stefan Bircheneder täuscht den Betrachter. Tatsächlich nämlich sind diese Objekte auf Leinwand gemalt. Am Spind sind nur die Schlösser und Scharniere echt. Und die aus dem Elektrokasten heraushängenden Kabel sind es auch. Allerdings bleiben sie völlig nutzlos. Bircheneder, früher Kirchenmaler, ist ein Perfektionist. Seine Trompe-l’œil-Objekte schaffen die perfekte Illusion von Skulptur, obwohl sie in Wahrheit reinste Malerei sind. Sehenswert!

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