Theater Dramen im Asia-Schnellrestaurant

Mönchengladbach · Fünf Sänger schlüpfen in 19 Rollen und sind in 21 Szenen in rascher Folge zu sehen. Die Zuschauer sitzen mit auf der Bühne des Theaters und erleben die poetisch-absurde Tragikomödie „Der goldene Drache“ aus nächster Nähe. Am Samstag ist Premiere.

 Auf der Großen Bühne des Theaters geht es bei diesem Stück mitunter drastisch zu: Der „Kleine“ hat schreckliche Zahnschmerzen. Der Kollege greift zur Rohrzange und bricht den Zahn aus dem Kiefer. Letztlich geht der Kleine daran zugrunde, er verblutet in der Küche des Asia-Restaurants.   Foto: M. Stutte

Auf der Großen Bühne des Theaters geht es bei diesem Stück mitunter drastisch zu: Der „Kleine“ hat schreckliche Zahnschmerzen. Der Kollege greift zur Rohrzange und bricht den Zahn aus dem Kiefer. Letztlich geht der Kleine daran zugrunde, er verblutet in der Küche des Asia-Restaurants. Foto: M. Stutte

Foto: Matthias Stutte

Der kleine Chinese kann einem wirklich von Herzen leid tun. Er hat tierische Zahnschmerzen. Sein gellendes Wehklagen ist nur schwer auszuhalten. Zum Arzt kann er nicht, er hat keine Papiere. Illegal arbeitet er mit vier anderen chinesischen Köchen im Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant „Der goldene Drache“. Seine Kollegen packen und halten ihn, einer reißt ihm mittels einer Rohrzange den Zahn aus dem Kiefer. Diese Szene ist drastisch. Aber es ist nicht die einzige, die den Zuschauer bis ins Mark trifft. Das Musiktheater „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös und Roland Schimmelpfennig in der Regie von Petra Luisa Meyer ist in jeder Beziehung krass. Krass komisch und krass erschütternd. Verstörend sogar. Umso mehr, als die Theaterbesucher sich mit den Sängern und Musikern auf der Bühne befinden, also ganz nah am Geschehen sind, manchmal mittendrin.

Der „Kleine“, der in den Westen gekommen ist, um seine Schwester zu suchen, wird von Panagiota Sofroniadou verkörpert. Sie ist die einzige, die eine Rolle hat, alle anderen mimen mehrere Charaktere, was dazu führt, dass sie sich permanent umziehen müssen. James Park etwa, von dessen großem schauspielerischen Talent diese Oper überzeugt, ist der junge Mann, ein junger Asiate, Kellnerin im „Goldenene Drachen“, die chinesische Tante und die Grille. Die Grille ist die vom „Kleinen“ gesuchte Schwester. Sie wird von Lebensmittelhändler Hans (Susanne Seefing) zur Prostitution gezwungen. Nach brutaler Misshandlung durch den widerwärtigen Nachbarn (Peter Koppelmann), der von seiner schwangeren Freundin verlassen wurde, stirbt die Grille. Und in der Küche verblutet der „Kleine“ nach der mörderischen Extraktion seines Backenzahns. Den findet übrigens die Stewardess Inga (Rafael Bruck) beim Löffeln ihrer Thaisuppe auf dem Grund der Porzellanschale. Nicht die einzige Absurdität in dieser Oper.

In einer Soiree mit anschließendem Probenbesuch wurden die Teilnehmer mit dem Musiktheaterstück, das am heutigen Samstag, 19.30 Uhr, im Theater Premiere hat, vertraut gemacht. 21 Momentaufnahmen von fünf Menschen wechseln sich auf der Bühne rasant ab. Dramaturgin Ulrike Aistleitner, Regisseurin Petra Luisa Meyer und der musikalische Leiter Yorgos Ziavras gestanden, dass zu Beginn der Proben kaum einer der Beteiligten geglaubt habe, dass das Unternehmen gelingen könnte. Ist es aber. Und wie. Die Oper „Der goldene Drache“, die in der letzten Spielzeit vom Krefelder Publikum gefeiert wurde, erhielt sogar eine bedeutende Auszeichnung. Ein Wort zu Yorgos Ziavras. 100 Minuten lang dirigiert dieser ungeheuer talentierte junge Mann mit der rechten Hand das Ensemble, das aus 16 Musikern besteht. Und mit der linken gibt er den fünf Opernsängern ihre Einsätze, die diese allerdings fast ausschließlich auf den Monitoren in den vier Ecken der Bühne sehen können. Denn sie singen ja in Richtung der Zuschauer, und das heißt: in alle. Allein das hochkonzentrierte Zusammenspiel zwischen Ziavras, den Musikern und den Akteuren auf der Bühne zu beobachten, ist faszinierend.

In dieser Produktion müssen alle alles tun: Die Sänger schauspielern und machen Percussion mit allerlei Küchengerät und die Musiker haben sprechende Momente. Und die Zuschauer? Die haben eine riesige Menge an Sinneseindrücken aufzunehmen und zu verarbeiten. Auch noch nach dem Theaterbesuch. Unberührt lässt diese Oper sicher niemanden. Zumal das Schicksal der beiden chinesischen Geschwister einem so schnell nicht aus dem Kopf und aus dem Herzen geht.

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