Lampenfieber-Training in Mönchengladbach Vom guten Umgang mit der Angst

Mönchengladbach · Schwitzende Hände und zitternde Finger. Beim Lampenfieber-Training üben Musikschüler einen guten Umgang mit der Angst vor dem Auftritt. Das ist gar nicht so einfach, wie einige Mönchengladbacher festgestellt haben.

 Beim Lampenfieber-Training haben Oskar Isetze, Felix Arns, Melina Buchkremer und Frederik Abts gelernt, wie sie mit ihrer Aufregung umgehen können.

Beim Lampenfieber-Training haben Oskar Isetze, Felix Arns, Melina Buchkremer und Frederik Abts gelernt, wie sie mit ihrer Aufregung umgehen können.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

„39,5 Grad“ – so hoch schätzt Frederik sein Lampenfieber ein, als er mit der Geige die Bühne der Musikschule betritt.  Der 16-jährige spielt einen Teil der Sonate in g-moll von Bach. Schmerzlich verzieht er das Gesicht, als er einen hohen Ton nicht trifft. Nach knapp fünf Minuten endet er. „Das war alles?“, fragt Musikschulleiter Christian Malescov. Zusammen mit Burkhard Kerkeling, Fachleiter für Klavier, leitet er den Workshop „Lampenfieber“. „Ja“, sagt Frederik etwas kleinlaut. „Zieh bitte ganz langsam die D-Saite“, fordert Malescov ihn auf. Frederik guckt irritiert, aber er beginnt. „Noch langsamer!“ Frederiks Ton klingt leicht zitterig.

Frederik macht zusammen mit Felix, Melina und Oskar ein Lampenfieber-Training. Sie sind in der S-Klasse der Musikschule, einer Förderung für hochbegabte Schüler, die Profis werden wollen. Für sie ist Routine mit Vorspielen sehr wichtig. Bei der Aufnahmeprüfung für die Hochschule konkurrieren oft 300 Bewerber um eine Handvoll Plätze. Und wer eine Stelle in einem Orchester haben will, muss sich beim Probespiel gegen hundert und mehr andere durchsetzen.

„Meine Hände waren kalt und schwitzig. Und meine Finger zitterten“, sagt Frederik nach dem Vorspiel. Er sei wegen Klausuren nicht gut vorbereitet gewesen. Seine Selbsteinschätzung: „Ich war richtig schlecht.“ Die anderen sehen das weit weniger dramatisch. „Oft sind wir selbst unser strengster Kritiker“, sagt Burkhard Kerkeling.

Klassische Musik ist Spitzensport. Ein Violinkonzert von Tschaikowsky galt in seiner Entstehungszeit als unspielbar. Heute steht es an der Hochschule bei Erstsemestern auf dem Programm. Perfekte Studioaufnahmen erhöhen auch bei Livekonzerten den Druck. Musiker sind oft hochsensible Menschen. Aber in diesem Geschäft brauchen sie Nerven wie Drahtseile. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele dem Stress nur mit  Betablockern und Beruhigungsmitteln standhalten.

Doch es gibt bessere Wege. Der wichtigste Tipp: „Konfrontationstherapie“, wie Malescov es nennt. Nichts hilft so sehr wie Routine mit Auftritten. Der Musikschulleiter hat eingeführt, dass Konzerte, Klassenvorspiele und Wettbewerbe in der Musikschule zur Normalität gehören. Und er hält alle Lehrer an, mit ihren Schülern den Auftritt vom Gehen auf die Bühne bis zur Verbeugung zu üben. Denn auch diese Rituale zu beherrschen gibt Sicherheit.

Lampenfieber ist nichts anderes als die Angst zu scheitern und sich zu blamieren, erfahren die Teilnehmer. „Dabei ist noch bei keinem verpatzen Vorspiel die Welt untergegangen“, sagt Malescov. Viel hänge vom Umfeld ab. „Wenn Lehrer und Eltern gelassen sind, wenn es nicht so gut läuft, hat auch das Kind niemals eine Krise.“

Er stellt klar: „Lampenfieber ist keine Schwäche, sondern eine Stressreaktion des Körpers.“ Hilfreich sind eine tiefe Atmung und Lockerungsübungen. „Musik entsteht im Kopf. Eure Arme sind der Schlauch, durch den die Musik ins Instrument fließt. Wenn der Schlauch irgendwo abgeknickt ist, kommt nur tröpfchenweise etwas heraus.“ Er zeigt den Schülern eine einfache Übung, wie sie ihren „Schlauch“ durchlässig machen können: Alle stellen sich hin, wippen in den Knien und schwingen dabei mit den Armen. Es sieht aus wie Skigymnastik.

„Ist Perfektion wirklich das Ziel?“, fragt Kerkeling in die Runde. Sie könne auch steril wirken. Und alle sind sich einig: Wer gelassen oder humorvoll mit einem Patzer umgeht, gewinnt beim Publikum sogar. Auf noch etwas machen die Lehrer aufmerksam: Es gibt kein Patentrezept gegen Lampenfieber. Für Felix ist wichtig, sich in Ruhe einzuspielen. „Ich hasse Kaltstarts.“ Oskar sagt unumwunden: „Ich bin heute lieber ausgeschlafen gekommen.“ Melina mag den Nervenkitzel bei Auftritten. „Dann bin ich hochkonzentriert.“ Auch Frederik kennt „dieses Gefühl, das süchtig macht: Wenn man auf der Bühne in einen Flow kommt und spürt, dass man dem Publikum etwas schenkt.“ Am Ende des Workshops spielen die Schüler noch einmal vor. Frederik wirkt nun deutlich gelöster. Seine gefühltes Lampenfieber: nur noch 36,5 Grad.

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