Premiere im Theater Von Kugeln und Menschen

Mönchengladbach · Dedi Baron inszeniert Molières Komödie „Tartuffe“ frisch, frech und ein bisschen absurd. Auf jeden Fall unterhaltsam.

 Molières Komödie „Tartuffe“ hat im Theater Premiere gefeiert. Auf dem Foto sind Henning Kallweit als Tartuffe und Esther Keil als Elmire, Gattin des Herrn im Haus Orgon zu sehen.

Molières Komödie „Tartuffe“ hat im Theater Premiere gefeiert. Auf dem Foto sind Henning Kallweit als Tartuffe und Esther Keil als Elmire, Gattin des Herrn im Haus Orgon zu sehen.

Foto: Theater Mönchengladbach/Matthias Stutte

Wenn am Ende der Vorstellung, mit der die Abteilung Schauspiel des Stadttheaters sich in der neuen Spielzeit zurückmeldet, goldenes Lametta aus dem Schnürboden schneit, dann können alle zufrieden sein. Die Akteure auf der Bühne, weil sie bei all der Arbeit richtig Spaß hatten und reichlich Applaus abkriegen. Das Publikum, weil es sich trotz reichlich zwei Stunden zwar lustiger, aber auch ganz schön sperriger Kost wunderbar unterhalten hat. Und auch die Regisseurin Dedi Baron, die neben ihrer Ausstatterin Kirsten Dephoff auf der Bühne steht, strahlt. Sie hat ihr Team zu einer reifen Leistung motiviert, den ollen Molière gehörig auf Vordermann gebracht. Tartuffe allerdings, der von Henning Kallweit so verwunderlich sympathisch gespielte Titelheld, schaut immer noch bedröppelt drein. Dabei hatte es bis zum unverhofften Schluss nach einem grandiosen Sieg für ihn ausgesehen. Er hatte das Haus Orgon mitsamt seiner selbstgefälligen Mischpoke kurz vor der Räumung. Aber das wäre dann doch – und vor 350 Jahren sowieso – des Guten zu viel gewesen.

Molière hat mit seinem „Tartuffe“ uns allen einen ewig gültigen Spiegel vorgehalten. Als Komödie, da rutscht die Botschaft besser. Wie satt wir sind, wie gelangweilt, selbstzufrieden, auf Spaß aus und auf Sex – das zeigt den Premierenbesuchern die Bühne von Kirsten Dephoff. Hier ist alles kostbares Ornament, Design. Allerdings auch irgendwie im Weg. Denn überall liegen gleich-gestylte medizinballgroße Kugeln herum, die zwar zum Kegeln taugen, aber weit weniger zum Sitzen oder sich dazwischen Fortbewegen. Die Gesellschaft ist reich (Rolex, Goldkettchen, weiße Socken) und geschwätzig. Da hat es der Scharlatan leicht, die innere Leere des Hausherrn, die unterdrückten Sehnsüchte seiner Gattin sich zunutze zu machen. Tolle Performance, Herr Kallweit, bis dann aber doch ein Sonnenkönig oder sowas eingreift.

Dedi Baron, die Regisseurin aus Tel Aviv, die vor zwei Jahren mit Grossmanns „Aus der Zeit fallen“ am Gemeinschaftstheater debütierte, setzt Molières Vexierspiel um Täuschung und Selbsttäuschung virtuos eins drauf. Auf der absurden Kugel-Bühne finden nicht nur Boule- und Kegel-Sessions statt, die Spielgeräte werden flugs zu Lampenschirmen, Tischen, Blumentöpfen deklariert und durchgeführt. Nichts braucht es mehr als eine verschiebbare Wand mit Drehtür, um den Raum weit, intim oder beklemmend eng zu machen. Die Phantasie feiert ein Fest, das allerdings absurde Züge annimmt. Einerseits über die Musik von Bojan Vuletic, dem Düsseldorfer Komponisten, die der Szenerie einen weiteren doppelten Boden einzieht, indem sie illustriert und zugleich eingreift. Andererseits zum Beispiel durch recht seltsame Kopulationsbewegungen, in die, ausgehend vom jungen Liebespaar, die ganze Gesellschaft verfällt. Überhaupt übernehmen Obszönitäten – unter dem Deckmantel der Beiläufigkeit – eine im Verlauf des Abends zunehmend irritierende Funktion.

Dabei hütet sich die Regie konsequent, einzelne Figuren ins moralische Abseits zu stellen. Sie sind allenfalls Karikaturen ihrer selbst: Joachim Henschke als Großmutter von Grass’schem Format, Bruno Winzen als naiver Hausherr, Esther Keil als Vulkan im Goldrock; Vera Maria Schmidt und Philipp Sommer als süße Dummchen, Paul Steinbach als tumber Sohn, Adrian Linke als Lackel von Schwager. Und nicht zuletzt die mitreißende Carolin Schupa als Zofe Dorine, die in einem schrecklichen Kauderwelsch der Familie die Leviten liest. Erst als Tartuffe in Fascho-Kluft und ebensolchen Begleitern anrückt (die allerdings kindlich sind und mit Trompeten bewaffnet), ist es Zeit für Operette. Und die kann eh keiner glauben.

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