Premiere auf der großen Bühne im Theater Israelin inszeniert Molières „Tartuffe“

Mönchengladbach · Für Regisseurin Dedi Baron aus Tel Aviv geht es in der Komödie um die Verführbarkeit von Menschen – auch in der Gegenwart. „Es ist ein Familienstück“, sagt sie. Familie funktioniert als Mikrokosmos. Premiere ist Samstag, 5. Oktober.

 Joachim Henschke als Mme Pernelle und Paul Steinbach als Damis.

Joachim Henschke als Mme Pernelle und Paul Steinbach als Damis.

Foto: Matthias Stutte

Molière, ausgerechnet Molière, hat Dedi Baron gedacht, als das Angebot kam. Dem Auftrag für die große Bühne des Gemeinschaftstheaters näherte sich die Israelin, die vor allem für politisches Theater bekannt und mit zahlreichen Regiepreisen ausgezeichnet ist, vorsichtig. „Bei Molière steckt alles drin. Er setzt Ironie klug ein, jedes Detail verwendet er bewusst, das ist seine Kritik“, sagt Baron.

Und damit hat der französische Dichter sie überzeugt. Am heutigen Samstag, 5. Oktober, hat „Tartuffe“ Premiere auf der großen Bühne im Theater an der Odenkirchener Straße.

Drei Anläufe brauchte Molière, um die Geschichte des Verführers Tartuffe, der sich in der Familie von Orgon einnistet und unter dem Deckmantel der Religion zunehmend an Einfluss gewinnt, auf der Bühne zu etablieren. Nach der Uraufführung 1664 wurde das Stück auf Drängen des Bischofs von Paris wegen Gotteslästerung verboten. Die Zweitfassung von 1667 fiel ebenfalls der Zensur zum Opfer. Am 5. Februar 1669 hatte die Fassung Nummer drei Premiere, die bis heute gespielt wird.

Dedi Baron hat sich für eine Übersetzung des 2012 verstorbenen Wolfgang Wiens entschieden, eine moderne Fassung in Versform. Im Hebräischen gebe es zahlreiche Molière-Übersetzungen, und die gereimten haben für sie die größte Anziehungskraft. Die Verse spiegeln eine Sehnsucht nach einer Welt, die früher besser war, in der es eine Ordnung gab.

Das ist für Baron die Essenz aus Molières Fünfakter. Die Familie ist für sie der Mikrokosmos, in dem sich die Suche des Menschen spiegelt, der seine innere Leere füllen will. „Es ist schlimm, dass alle denen nachrennen, die mit schönen Worten versprechen: ,Wir werden für euch sorgen’. „Das tun Politiker, Banken et cetera. Die Religion ist nur ein Synonym“, sagt die Regisseurin. Sie könnte auch für Netanjahu, Putin oder Trump stehen.

„Wir Menschen suchen und überlassen uns anderen, weil wir glauben, dass sie es besser wissen.“ Hier sieht sie die hohe Aktualität des Stücks. „Noch vor wenigen Jahren machten Europa und die fallenden Grenzen uns Hoffnung, dass wir nationalistische Enge überwinden, dass unsere Identität in einiger Zeit global würde. Jetzt läuft es ganz anders.“

Dass Moliére fürs glückliche Ende den Deus ex Machina hervorzaubert, eine Gottheit, die alles zum Guten wendet, hält sie für einen gelungenen Coup. „In seiner Ironie steckt die Kritik.“

Darum geht es: Tartuffe wird von dem Hausherr Orgon wie der Messias in dessen Familie eingeführt. Dass der Scheinheilige aber Wasser predigt und Wein trinkt, sieht Orgon absolut nicht.

Im Gegenteil: Der Familienvater verspricht dem Blender seine Tochter und sein gesamtes Vermögen. Warum wirkt Tartuffe so überaus anziehend? „Orgon folgt ihm, weil er glaubt, dass Tartuffe Recht hat. Er will ein geordnetes Leben für seine Familie, sieht aber die Menschen gar nicht.“

Dedi Barons Familie Orgon ist gut situiert, luxusorientiert. 80 Kugeln werden auf der Bühne hin und her rollen. Sie sind Spielbälle für die Akteure und Störfaktoren der Ordnung. Sie zwingen zur Beweglichkeit. „Wer wirklich leben will, der muss sich bewegen; wer in einer Ideologie festgehalten wird, lebt nicht wirklich“, erklärt Baron. „Für Freiheit muss man manchmal kämpfen.“ Um die Leere, das Chaos und die Suche nach Ordnung geht es ihr.

Die Charaktere will sie vor allem als Menschen, nicht als Typen zeigen, damit Raum für Assoziationen ist. Dass sie mit der Besetzung ganz nah an der Uraufführung liegt, ist Zufall: Damals wurde die Rolle von Orgons Mutter von einem Mann gespielt. In Barons Inszenierung ist Joachim Henschke besetzt.

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