Mönchengladbacher Künstler Hans Benno Rilke „Menschenware“ und „Selbstbildnis“

Mönchengladbach · Viele Arbeiten des Rheydters Hans Benno Rilke galten als im Krieg verloren gegangen. Als Jahrzehnte später einige im Kunsthandel auftauchten, erwarb das Museum Schloss Rheydt die Bilder.

 „Menschenware“ betitelte Rilke dieses Bild, das die Zerrissenheit und das Chaos der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts spiegelt.

„Menschenware“ betitelte Rilke dieses Bild, das die Zerrissenheit und das Chaos der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts spiegelt.

Foto: Schloss Rheydt

Auch das macht den Charme der großen Grafischen Sammlung des Museums Schloss Rheydt aus: dass nicht unbedeutende lokale Künstler einen angemessenen Platz darin finden und der Öffentlichkeit präsentiert werden können. Bei Hans Benno Rilke kommt hinzu: Seine Arbeiten waren lange verschollen.

Rilke wurde im Oktober 1891 in Rheydt geboren. Er studierte zunächst an der Kunstakademie Karlsruhe, bevor er das Zeichenlehrerseminar in Düsseldorf und die Kunstgewerbeschule besuchte. Er heiratete Lisa Hartlieb, ebenfalls eine Künstlerin. Auch ihre Werke besitzt das Museum Schloss Rheydt. Das Ehepaaar Rilke schloss sich dem Düsseldorfer Aktivistenbund an, der später in die bekanntere Gruppierung „Das Junge Rheinland“ ein-ging.

Rilkes künstlerische Aktivität nahm in den 1930-er Jahren ab, das Engagement für den Beruf des Zeichenlehrers in Düsseldorf dagegen zu. Rilke starb 1945 in Düsseldorf. Seine Frau Lisa Hartlieb-Rilke führte bis in die 1930-er ein eigenes Atelier, doch betrieb sie es eher zurückhaltend. Sie starb 1951.

Sechs Arbeiten von Hans Rilke, mit Ausnahme einer Lithografie sind es Aquarelle, und fünf Blätter von Lisa Hartlieb-Rilke – Gouachen, Kreide- und Tuschezeichnungen, ein Holzschnitt und ein Farbholzschnitt – kann man in der Online-Ausstellung des Museums genauer anschauen.

Hans Benno Rilkes Motivpalette ist weit gefächert. Sie reicht vom Porträt über Körperstudien zu Menschen- und Tierdarstellungen. Neben Grafiken und Gemälden entstanden auch bildhauerische Arbeiten.

So hat sich Hans Rilke um das Jahr 1921 herum in einem Selbstbildnis dargestellt. Ein Auge darauf wirkt wie erblindet.

So hat sich Hans Rilke um das Jahr 1921 herum in einem Selbstbildnis dargestellt. Ein Auge darauf wirkt wie erblindet.

Foto: Schloss Rheydt

1921 etwa entstand das „Selbstbildnis“, ein Aquarell über Bleistift auf Pappe.  Das Selbstporträt nimmt eine Sonderstellung im Genre der Porträtmalerei ein. In ihm zeichnet ein Künstler genau das Bild seiner Persönlichkeit, das er der Nachwelt überliefert haben möchte. Aus dem 37 x 31,3 Zentimeter großen Blatt blickt ein ausdrucksstarker Mann. Rilke war damals 30 Jahre alt. Mit heutigen Maßstäben betrachtet, wirkt er auf dem Aquarell deutlich älter. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, tiefe Furchen überziehen seine hohe Stirn und die schmalen Wangen. Seine Gesichtszüge sind holzschnittartig hervorgehoben. Ein dichter Bart unterstreicht die Reife des Mannes. Er hat den Kopf ganz leicht zur linken Seite gewendet, so dass seine Rechte in den Hin-tergrund tritt. Sogar mehr als das, zumindest, was sein Auge betrifft: Es wirkt wie blind. Dennoch ist der Ausdruck des Künstlers Rilke ein intensiver, nachdenklich wirkender, auf zurückhaltende Weise selbstbewusst.

Die 1920-er-Jahre nannte man auch die „Goldenen Zwanziger“. In den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und nach entbeh-rungsreichen Jahren lebte die Wirtschaft zeitweise wieder auf, Kunst, Kultur und Wissenschaft erfuhren eine Blütezeit. Aber auch die Kriegsheimkehrer, teilweise schwer versehrt, prägten das Stadtbild. Streiks gegen die Regierung waren an der Tagesordnung. Es war eine zerrissene Zeit. In der Kunst reagierten Maler wie Otto Dix und George Grosz mit einem Stil auf die Ereignisse in der Welt, die als „Neue Sachlichkeit“ bezeichnet wurde. Die Großstadt wurde zum Thema der Malerei ebenso wie die Unterschiede zwischen Arm und Reich, die Prostitution und sexualisierte Gewalt.

Rilkes Lithografie „Menschenware“ von 1921, 46 x 37,5 Zentimeter groß, ist Teil eines 16-teiligen Mappenwerks mit dem Titel „Und die große Stadt fraß Frauen“. Um die Menschenware zu erkennen, benötigt es Zeit und einen genauen Blick, so sehr sind die Konturen und Binnenzeichnungen der Dargestellten in einem nicht erkennbaren Innenraum miteinander- und ineinander verflochten. Nackte Frauen, ein Mann, der sich zwischen die Beine einer Frau drängt und ihre Brüste packt, entmenschlichte Gesichter, Preisbezeichnungen, die auf die Körperteile eingezeichnet sind („15 M) – sie zeigen den Menschen in einer unwürdigen, diskriminierenden, brutalen Handlung. Die beklemmende, drangvolle Enge, die kantigen, aggressiven Linien lassen an Arbeiten von George Grosz denken.

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