Lesung von Eva Menasse in Mönchengladbach Über die Abgründe einer Kleinstadt

Mönchengladbach · Autorin Eva Menasse las im Theater Mönchengladbach aus ihrem Roman „Dunkelblum“. Es geht um eine Kleinstadt, in der ein schreckliches Verbrechen ans Licht kommt.

 Eva Menasse während ihrer Lesung im Theater Mönchengladbach.

Eva Menasse während ihrer Lesung im Theater Mönchengladbach.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Irgendwann bricht sich die Wahrheit ihre Bahn. Da kann die Mauer noch so hoch, die Grenze noch so gut befestigt sein. Das ist auch im fiktiven Ort Dunkelblum im Burgenland im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet nichts anders. Darüber erzählte Eva Menasse in ihrem Roman „Dunkelblum“ eindrucksvoll und nachhaltig bei ihrer Lesung im Theater Mönchengladbach. Die 1970 in Wien geborene und nun in Berlin lebende Schriftstellerin gastierte auf Einladung des Fördervereins der Stadtbibliothek  in Rheydt. 

Auch in Dunkelblum lässt sich die Wahrheit nicht auf Dauer verheimlichen. Mit dem Zerbröseln des Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West, dem Wegfall der schier unüberwindlichen Grenzen zwischen den Machtblöcken zerfällt auch der Panzer der Verschweigens, die Hülle des Verdrängens und die Macht des Vergessens, in die die für viele Dunkelblumer unbequeme Wahrheit gepackt und versteckt wurde. Der Roman von Menasse spielt in der Zeit der politischen Veränderung 1989, aber er greift zurück auf die totgeschwiegenen Ereignisse der Vergangenheit, auf die Vertreibung der jüdischen Einwohner von Dunkelblum, auf die Tötung von Zwangsarbeitern, auf das Überleben nach dem Kriegsende 1945 mitsamt dem Erstarken alter Seilschaften, die nur scheinbar mit dem Untergang der Naziherrschaft ein Ende gefunden hatten. „Mit 1989 ist die Welt anders geworden“, meinte Menasse. Vom Zweiten Weltkrieg bis dahin sei „nichts passiert“, aber es habe unter der Oberfläche gegärt.

Geschickt und routiniert gelang es Menasse, in kurzen Passagen den Zuhörern den Ort ihrer Handlung und einige der Figuren darzustellen. Sie habe viel recherchiert, in der Vergangenheit wie in der Zeit des Wandels und auch danach, über das Leben im ärmlichen Burgenland, über das Schicksal der jüdischen Mitbürger, über die Zwangsarbeiter, aber auch über das Schweigen der Alten und das Misstrauen der Jugend. Ein Roman biete die sagenhafte Möglichkeit, alle Dinge zusammenzufassen, auch wenn sie zeitlich und räumlich weit auseinander liegen. 

Menasses Lehre: „Es wird alles einmal herauskommen.“ Die Wahrheit gelangt tatsächlich ans Tageslicht, aber es ist eine löchrige, unvollkommene, weil Zeitzeugen sich nicht erinnern oder nicht erinnern wollen, weil Betroffene schweigen oder gestorben sind; und zugleich ist es eine Wahrheit, die je nach dem Blickwinkel des Betrachters eine andere ist. Das Publikum dankte Menasse und zugleich dem Förderverein, dass es endlich wieder „analoge“ Lesungen gibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort