Jede Menge Kunst und Performances in Rheydt Streifzug durch die Kulturnacht

Rheydt · An mehr als 20 Orten gaben unter dem Titel „Die Pulsive“ fast 300 Künstler mit 130 Einzelveranstaltungen einen Überblick über die Arbeit der freien Kulturszene Mönchengladbachs. Sich einfach treiben lassen schien da die beste Strategie.

Rheydt - Streifzug durch die Kulturnacht
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Bunt und experimentell - so war die Kulturnacht

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Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Auf dem Marktplatz hat Bernhard Jansen sein „X.position mobile“ aufgestellt, einen zum mobilen Kunst- und Kulturraum umgebauten Wohnwagen. Dort kann man in einer „interaktiven Zeit- und Raumkapsel“ auf eine multimediale Reise gehen. Mithilfe von Schaltern und Sensoren lassen sich projizierte Bilder und Klänge beeinflussen. Berührungen erzeugen Musik, der kreative Spieltrieb wird angeregt.

Ein paar Meter weiter ist die Mönchengladbacher Künstlerin Christiane Behr von jenen Kindern umringt, die den Platz sonst täglich zum Spielen nutzen. Die bunte Schar mit breit gestreutem ethnischen Hintergrund hat offensichtlich viel Spaß am monumentalen Flickenteppich, mit dem die auf Installationen, Wand- und Lichtobjekte spezialisierte Künstlerin ihre Alltags-Spielfläche heute ausgekleidet hat. Der gewebte Teppich war 2020 im Rahmen des Kunstprojekts Neuland entstanden. Auf 35 Metern Länge sind darin mitgebrachte Stoff- und Textilreste von Rheydtern verwoben, die teils persönliche und zeitgeschichtliche Erinnerungen repräsentieren. 

Das sind nur zwei von 300 Künstlern und 130 Einzelveranstaltungen, mit denen Kulturnacht in diesem Jahr erstmals unter ihrem neuen Namen „die Pulsive“ am Wochenende aufwartete. In diesem Jahr konnte sie nach der Corona-Zwangspause endlich wieder stattfinden. An mehr als 20 Aktionspunkten in der Rheydter Innenstadt konnten Besucher die künstlerische Vielfalt verpackt in ein spannendes Kulturprogrammmit nur einem Ticket erleben.

Am Orga-Zelt vor dem Rathaus berichtet Karin Grummert, Projektkraft im Kulturbüro der Stadt, von den eineinhalb Jahren Vorbereitung, die in die Organisation der Kulturnacht „die Pulsive“ geflossen sind. „Für die Kulturnacht 2020 waren die Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen, als Corona alles zunichte machte. Das Aus kam, als der Druck der Programmhefte schon begonnen hatte.“

Rassistische Gewalt und die Umstände, die sie begünstigen – das ist das Thema im Chapeau Kultur an der Marktstraße. Dort lesen Behshid Najafi und Viviane Camares aus der Antologie „Texte nach Hanau“. In der Textsammlung verarbeiten Autoren ihre Wut, Angst und Ohnmacht angesichts des rassistischen Anschlags, dem 2020 in Hanau zehn Menschen zum Opfer gefallen sind. Dem ernsten Thema setzte die vom Integrationsrat der Stadt Mönchengladbach in Kooperation mit der Hochschule Niederrhein und der AWO Mittelrhein organisierte Veranstaltung ein versöhnliches Zeichen entgegen: Das Buffet mit syrischen Spezialitäten ist heiß umlagert, die Gäste können gar nicht genug bekommen von den orientalischen Köstlichkeiten der Falafel-Spezialisten von Mogambo, einem von syrischen Geflüchteten betriebenen Familienbetrieb in der Nachbarschaft. 

Großer Andrang am „Disklo“: Die in einem Keller am Marienplatz gelegene ehemalige öffentliche Toilettenanlage haben Leonora Kamper und Jonas Gärtner vom Kollektiv Gedöns & Firlefanz zur Kunstnacht in eine Untergrund-Disco verwandelt. Lächelnde Menschen kommen heraus getänzelt und dann darf die nächste kleine Gruppe für sechs Minuten hinabsteigen. Unten legt DJ OSE auf, tanzbare Musik kommt aus dem Kopfhörer. Bunte Licht-Projektionen komplettieren das audiovisuelle Erlebnis.

Im Theater Mönchengladbach an der Odenkirchener Straße hat die freie Szene für diesen einen Abend die Regie übernommen. Anstelle der sonst hier residierenden Hochkultur zelebriert auf der großen Bühne Drag Queen Gravitea einen umjubelten Auftritt. Im Foyer der Studiobühne bricht eine junge Tänzerin im Schulmädchengewand hysterisch schreiend über einem Stapel Bücher zusammen. Sie ist Teil der Performance „Die letzte Trauer“. Darin formulieren Schüler und Studierende im Alter zwischen 14 und 27 mit tänzerischen und schauspielerischen Mitteln Kritik am althergebrachten Bildungssystem: Muss gesellschaftliche Akzeptanz wirklich an Noten gekoppelt sein? Das Studio selbst haben die Computerspieler gekapert. Auf großen Leinwänden finden hier epische virtuelle Schlachten statt.

Der Rückweg Richtung Innenstadt bietet Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher ins Rhe-er Eck. Hier performt das Trio Yjuna groovenden Elektro-Pop mit Ethno-Appeal. Nach deren Auftritt geht es weiter in die ehemalige Rathauskantine. Im Hof setzt eine Foto-Ausstellung mit Arbeiten von Jana Bauch Aufnahmen von der Trinkwasser-Ausbeutung in Mexiko mit Bildern vom Heimatverlust durch den Braunkohle-Tagebau in Bezug. Drinnen führen Musiker Kai Welf-Hoyme und Lyriker Thomas Koch eine Klang-Text-Collage auf. Über ein Soundgemisch aus Straßenlärm und orientalischen Melodien, die klingen wie von einem weit entfernten Radiosender abgespielt, spricht Koch vom fremd sein, von Damaskus, von Syrien – Traum und Trauma gleichermaßen beschreibend.

Das ehemalige Karstadt-Gebäude bietet auf riesiger Fläche den ganzen Abend über bildende Kunst, Tanz, gesprochenes Wort und Performances. Draußen ist eine Gruppe junger Besucherinnen im angeregten Gespräch. Eine junge Nettetalerin wollte eigentlich nur eine Performance ihres Hip-Hop-Lehrers besuchen. „Dass es hier noch so viel Anderes zu erleben gibt, wusste ich gar nicht. Das war eine tolle Überraschung“, sagte die 17-jährige Luise.

 Laura Heyer bei ihrer Performance im Theater Rheydt.

Laura Heyer bei ihrer Performance im Theater Rheydt.

Foto: bauch, jana (jaba)
Die Drag Queen Gravitea (r.) feierte einen umjubelten Auftritt auf großer Bühne.

Die Drag Queen Gravitea (r.) feierte einen umjubelten Auftritt auf großer Bühne.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Besucher Manfred Tellmann sagt zur Frage, was ihm besonders gefallen hat: „Im Maria-Lenssen-Garten gab es eine Aktion, die dazu einlud, einfach mal Pause zu machen, abzuschalten, nichts zu tun. Das fand ich in Anbetracht der vielfältigen Reize heute Abend ein schönes Angebot.“

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