Premiere im Theater Mönchengladbach Carmen trumpft auf – mit Gesang und Karten

Mönchengladbach · „Carmen“ konzertant: Bizets Oper gefiel bei der Premiere auch ohne Bühnenhandlung. Dank bester Sänger und eines spannenden Videos.

 Zu Kobie van Rensburgs Inszenierung gehören auch Video-Einblendungen, die das Live-Geschehen begleiten.

Zu Kobie van Rensburgs Inszenierung gehören auch Video-Einblendungen, die das Live-Geschehen begleiten.

Foto: Matthias Stutte/© Matthias Stutte

Was von diesem „Carmen“-Abend bleibt, mit dem das Theater die erste Spielzeit seit Beginn der Corona-Pandemie einläutete, ist zum Beispiel eine weiße Rose. Jede Besucherin bekam beim Nachhausegehen von einer Theatermitarbeiterin ein sehr schönes, langstieliges Exemplar mit auf den Weg. Die Blumen erinnern, und das ist sicher auch Sinn dieser netten Geste, an die Titelheldin der Bizet-Oper.

Carmen verdreht ja bekanntermaßen Don José, der tragenden Tenorpartie des populären Werks, mit Hilfe einer Akazienblüte den Kopf. Akazien aber sind hierzulande schwer zu kriegen, in der Vorstellung wirbelten und rotierten stattdessen daher schon rote Nelken über die Leinwände, die Kobie van Rensburg mit so etwas wie einer Parallelhandlung bespielte. Da ist der Weg zur weißen Rose nicht weit. Und schon sind wir mittendrin in der Überlegung, was denn noch erinnerungswert an diesem Abend war.

Da kommt gleich der große Beifall in den Sinn, den das Publikum nicht nur am Ende wirklich und verdienter Maßen allen Beteiligten spendete, sondern auch nach jeder Arie, nach jeden Ensemble den jeweiligen Sängerinnen und Sängern. Die konnte man, weil es sich um eine konzertante Aufführung handelte, in völlig von Bühnenaktion ungestörter stimmlicher Pracht erleben.

Eva Maria Günschmann ist eine Carmen von einem beachtlichen Format, sie setzt ihre einzigartig fokussierten tiefen Mezzo-Register ab der ersten Habanera derart prächtig in Szene, dass man schwärmen darf. Mit David Esteban hat das Theater einen Don José von jederzeit ungefährdeter Höhe, lyrischem Schmelz und mit Fortgang des Abends zunehmender Strahlkraft im Ensemble.

Auch Sophie Witte kann der ihr nicht gerade auf den Leib geschriebenen Partie der Micaela bezaubernde Töne abgewinnen (Gebet), Rafael Brucks Bariton passt ganz gut zum Torero Escamillo. Sogar die Nebenrollen sind mit Maya Blaustein (Frasquita), Susanne Seefing (Mercédès), Hayk Dèinyan (Zuninga), Woongyi Lee (Remendado) und Guillem Batllori (Dancairo) tadellos besetzt. Die Ensembles haben Schmiss, Tempo, Esprit. Man musiziert miteinander, statt sich in den Vordergrund zu singen. Jedenfalls meistens. Das liegt auch an Generalmusikdirektor Mihkel Kütson am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker. Gespielt wird eine reduzierte Orchesterfassung gleichwohl sehr differenziert und farbenreich. Mihkel Kütson weiß jederzeit, was seine Sängerinnen wünschen. Alles bestens. Über den Köpfen der Akteure findet dann noch so etwas wie eine Bebilderung der Oper statt. Und das zum einen sehr musikalisch, indem passgenau zur schmissigen Ouvertüre Spielkarten in die Luft wirbeln.

Liebesdramen angedeutet werden ebenso wie Stierkampf-Motive. Vier Mitglieder des Ballettensembles sind den Protagonisten als Spielkarten-Cover zugeordnet. Und machen das, was die auf ihren markierten Standpunkten singenden Sänger nicht dürfen: sich anschmachten, berühren, verführen, ermorden.

 Beifall gab es auch nach einzelnen Arien.

Beifall gab es auch nach einzelnen Arien.

Foto: Matthias/Matthias Stutte

Weil Kobie van Rensburg ein Könner ist, kommt zwar ziemlich deutlich die Handlung rüber, immer aber auch eine fiktionale Ebene, die als Spiel von Liebe und Tod kenntlich ist. Mal ironisch, mal verfremdend wie der Schluss, bei dem mal Carmen ihren José, mal José seine Carmen meuchelt. Man sieht’s gern. Gern auch wieder als Theater.

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