Opernpremiere in Mönchengladbach „Die Nachtwandlerin“ mit überraschendem Ende

Mönchengladbach · Ansgar Weigner inszeniert, Mihkel Kütson leitet die romantische Belcanto-Oper „Die Nachtwandlerin“ von Vincenzo Bellini famos. Wie das Publikum reagiert.

 Eine verhängnisvolle Szene: Amina (Sophie Witte) wacht ausgerechnet im Bett des Grafen Rodolfo (Matthias Wippich). Nicht ohne Folgen.

Eine verhängnisvolle Szene: Amina (Sophie Witte) wacht ausgerechnet im Bett des Grafen Rodolfo (Matthias Wippich). Nicht ohne Folgen.

Foto: Matthias Stutte

Eine schwarzgraue Masse Mensch (Kostüme: Susanne Hubrich) bevölkert die Bühne. Die ersten Worte nach dem keckernden Hornmotiv hat der Opernchor, eine Dorfgemeinschaft in den Schweizer Bergen. Die Dörfler bereiten die Hochzeit des Waisenmädchens Amina und des Gutsbesitzers Elvino vor. Dagegen protestiert die junge Wirtin Lisa (Indre Pelakauskaite), die gern Elvinos Braut wäre. Die Werbung des Bauern Alessio (Miha Brkinjac) weist sie mürrisch ab.

Mit wenigen Motiven markiert die Oper „Die Nachtwandlerin“ zu Beginn die Eckpunkte der Handlung. Hinter der wogenden Oberfläche des von Regisseur Ansgar Weigner ständig in Bewegung gehaltenen Chorkörpers verbirgt sich eine tiefere Schicht, die von Träumen, Sehnsuchtsorten und Seelen-Labyrinthen weiß. Das verrät schon in der ersten Szene eine geheimnisvolle Frau im Biedermeierkleid, die den Betrachtern den Rücken zukehrt, um aus einem Fenster hinauszuschauen. Reglos den Blick ins Irgendwo gerichtet. Doch diese Gestalt ist nur ein hölzerner Schemen, eine Nachbildung des Gemäldes „Frau am Fenster“ von Caspar David Friedrich. Bühnenbildner Hermann Feuchter hat das Motiv aufgegriffen, um die Seelenlage von Amina (Sophie Witte), der unbewusst schlafwandelnden Adoptivtochter der Müllerin Teresa, plakativ abzubilden.

Vor gut zehn Jahren stand Vincenzo Bellinis Paradeoper des Belcanto, „Norma“, auf dem Spielplan des Theaters Krefeld/Mönchengladbach. Nun folgte als letzte Opernpremiere der Spielzeit eine weitere Frauenoper des begnadeten Melodien-Tüftlers aus Sizilien: „La sonnambula“, zu Deutsch „Die Nachtwandlerin“, in der Originalsprache gesungen.

Zwar endet die 1831 uraufgeführte Oper nicht tragisch wie „Norma“, doch Weigner und Feuchter mögen sich mit der komischen Seite des auf einem Vaudeville fußenden Zweiakters nicht begnügen. Immer wieder kreuzen melancholische Gegenströmungen die heiteren, leichthin konfigurierten Melismen der Solisten, für die als Modell Sopranistin Sophie Witte in der Titelrolle steht. Ihr filigranes stimmliches Kaliber hebt sich von populären Soubrettenrollen ab. Schließlich hat Bellini ihr, in geringerem Maß auch ihrer Gegenspielerin Lisa, schwierige Koloraturen verordnet. Auch Opernstudio-Mitglied Pelakauskaite erfüllt als Lisa diese Ansprüche. Aminas Seelenpein, als sie schlafwandelnd ausgerechnet im Bett des geheimnisvollen Grafen Rodolfo landet, darauf von der bornierten Dorfgesellschaft gebrandmarkt wird und der wankelmütige Bräutigam Elvino tief gekränkt die Hochzeit absagt, tönt unterschwellig immer mit aus Sophie Wittes famosen Gesangslinien.

Mihkel Kütson sorgt mit den Niederrheinischen Sinfonikern für die solide instrumentale Stütze der Solisten und für passgenaue Bettung der wuchtig zelebrierten oder liedhaft gesäuselten Chorstücke. Dafür hat Chordirektor Michael Preiser nachhorchbar enorme Führungsarbeit geleistet.

Woongyi Lee nutzt erfolgreich seine Chance in der Rolle des Elvino für klangstarke Tenormalereien in Heldenmanier. Das klingt im Mezzoforte fast zu schön für diese Figur, in den metallischen Spitzen freilich steht sein Gesang stilistisch im Einklang mit der brutalen Härte seiner in tradiertem Rollendenken wurzelnden Haltung. Matthias Wippichs tragkräftiger Bass balanciert als Rodolfo die Spannungskräfte zwischen geahnter geschwisterlicher Zuneigung zu Amina und erotischer Wunschvorstellung in seinem nach oben schmaler werdenden Register-Ambitus solide aus. Janet Bartolova (Mezzosopran) singt und spielt Aminas Adoptivmutter Teresa würdevoll und mit viel Wärme. Sie ist die Einzige, die zu der ungerechtfertigt der Untreue bezichtigten Tochter hält.

Am Schluss gelingt ein Clou: Ansgar Weigner lässt dem Happy End nicht den in der Oper vorgesehenen konventionellen Lauf mit fröhlicher Hochzeit. Stattdessen wird nun die Übertitelungsanlage abgeschaltet, um irritierenden Widerspruch zwischen gesungenem Text und Handlung zu vermeiden. Amina reicht Elvino den Ring zurück und beendet die Beziehung zu dem unwürdigen Mann, zu dem sie kein Vertrauen mehr aufbauen kann. Ihre Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben ist in unserem Jahrhundert logisch – in der Restaurationszeit um 1830 freilich bleibt diese Wendung nur ein Traum. – Kein Traum: neun Minuten lang Ovationen!

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