Mönchengladbach Wie das Theater durch die Krise geht

Mönchengladbach · Leere Ränge, aber die Arbeit hinter den Kulissen geht weiter. Am 30. April will Intendant Grosse mehr verraten.

 Bis 3. Mai bleiben die Ränge im Theater leer. Danach könte es vereinzelte Live-Auftritte geben.

Bis 3. Mai bleiben die Ränge im Theater leer. Danach könte es vereinzelte Live-Auftritte geben.

Foto: Ilgner, Detlef (ilg)/Ilgner,Detlef (ilg)

Noch mindestens bis zum 4. Mai heißt es für das Theater „Heute keine Vorstellung“. Was dann passiert ist nicht sicher. „Wir können innerhalb von 48 Stunden die Produktion wieder aufnehmen“, hatte Intendant Michael Grosse gesagt, als die Theater schließen mussten. Deshalb geht die Arbeit für die rund 530 Beschäftigten weiter – allerdings unter ungewohnten Bedingungen. Kurzarbeit gibt es nicht, zum Glück auch keine Krankheitsfälle. Die Künstler arbeiten derzeit viel zu Hause, lernen Texte, Partituren. Für die Tänzer gab es extra ein Stück Tanzboden fürs eigene Heim, damit sie gelenkschonend trainieren können.

 „Wir hangeln uns von Zeitfenster zu Zeitfenster“, sagt  Grosse. „Wir bereiten ständig neue Varianten vor und müssen die Folgen beleuchten, die sich auch auf die nächste, unter Umständen sogar auf die übernächste Spielzeit auswirken können.“ Zum Beispiel „Leonce und Lena“: Die Premiere war für den 18. April in Krefeld geplant – fällt aus. Oder „Sunset Boulevard“: Das Musical sollte Anfang Mai in Mönchengladbach herauskommen ­– geht nicht. „Wenn wir die Stücke jetzt nicht bringen, müssen wir Alternativen suchen für den nächstmöglichen Termin. Wenn der wieder verschoben werden muss, müssen wir neu überlegen.“ Und die Disponenten müssen berücksichtigen, dass die Produktionen auch ins andere Haus übertragen werden und dafür Zeitpuffer einkalkulieren. „Das ist ein unglaublicher Logistik- und Kommunikationsaufwand, vor allem, wenn Menschen betroffen sind, die nicht fest am Haus sind, wie Gastsolisten, Regisseure“, sagt Grosse. Das betrifft alle Sparten, Ballett, Musiktheater, Schauspiel und auch Sinfoniekonzerte.

Der Theaterchef geht davon aus, dass vor den Sommerferien „aller Voraussicht nach Theater wie die Besucher es traditionell gewohnt sind“ nicht stattfinden wird. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie das Theater die Gesundheit des Publikums schützen kann, sondern auch um den Schutz der eigenen Leute. Desinfektionsspray für Zuschauer, Einlassregelungen, damit sich keine  Schlangen bilden, Sicherheitsabstände bei den gebuchten Plätzen, Catering, Verzicht auf Pausen und Ähnliches sei machbar. „Auch ein Gazevorhang zwischen Bühne und Zuschauerraum, der als Spuckschutz dient, aber die Sicht nicht verhindert, ist möglich“, meint Grosse. Mundschutz fürs Publikum ist eine Sache, aber Sänger und Schauspieler mit Gesichtsmasken möchte sich wohl niemand vorstellen. Und wie sehen die Sicherheitsabstände auf der Bühne aus? Wo soll das Orchester sitzen? „Im Orchestergraben wäre es zu dicht. Und dürfen Bläser noch mitwirken oder müssen wir uns auf Streicher beschränken?“  Derzeit laufen viele Überlegungen. Die alternativen kleinen Videoformate werden gut angenommen. „Aber alle haben den Drang nach dem nicht-digitalen Auftritt“, sagt der Intendant.

 Jannike Schubert und Michael Grosse.

Jannike Schubert und Michael Grosse.

Foto: Screenshot Youtube

Eine Begrenzung der Zuschauer-
zahl bedeutet auch weniger Einnahmen. Als Theatergeschäftsführer muss Grosse rechnen, ob sich der Betrieb bei einer stark reduzierten Auslastung lohnt. „Jede Einnahme ist besser als keine. Aber für mich stellt sich vor allem die Frage der Relevanz von Kunst und Kultur. Und die ist nach wie vor groß. Kultur ist ein Lebensmittel. Wir stehen für die kollektive Kunst, sowohl in der Ausführung wie in der Rezeption: Alle erleben zur selben Zeit das Gleiche, aber nehmen es anders wahr. Da sind wir natürlich sehr beschnitten.“ Finanziell steht es zum Ende des Konzepts Theater mit Zukunft II nicht rosig, weil seit Wochen die Einnahmen fehlen: „Aber wir werden dieses Geschäftsjahr überstehen können. Und dann müssen wir uns um die Rettungsschirme kümmern.“ Corona-bedingte Verluste und Zusatzkosten habe jedes Theater. Ein Trostpflaster hat Grosse:. „Es wird keine Produktion weggeworfen“. Leonce und Lena, Wilhelm Tell, Rusalka, Tschick und Sunset Boulevard wird es geben – irgendwann. Auch die Sinfoniekonzertprogramme werden zu späterem Zeitpunkt gespielt.

Bei der Instagram-Show „Backen ohne Mehl“  am vergangenen Sonntag plauderte der Generalintendant mit Schauspielerin Jannicke Schubert über die Zukunft des Theaters. Der Termin war nicht ganz zufällig gewählt: Das Theater feierte am Sonntag seinen 70. Geburtstag. Am 19. April 1950 beschlossen die Städte Krefeld und Mönchengladbach, die  Theaterhäuser zu fusionieren.

Im Livestream sagte Grosse: „Wir haben Hoffnung,  dass es vor den Theaterferien noch einmal den einen oder anderen Live-Auftritt geben wird. Es tut sich sehr viel im Haus, in den Ensembles. Es gibt viele Ideen im Haus, um die Dinge weiter nach vorn zu bringen.“ Unter anderem stellte der Theaterchef eine besondere Variante von Wilhelm Tell in Aussicht.

Eine wichtige Frage sei, wie der Begriff Großveranstaltung definiert werde. Dann könne man überlegen, auf welche Weise man den Theaterbetrieb für die Besucher zugänglich machen könne, so Grosse. Auch über die Regelungen für die Kollegen auf der Bühne müsse nachgedacht werden. „Szenisches Agieren miteinander wird kaum möglich sein, aber Sologeschichten sind denkbar, ein Streichquartett kann spielen – und sei es mit Mundschutz. Man kann einen kleinen Liederabend machen.“

Es gebe verschiedene Modelle, die lägen schon in der Schublade. „Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass das alles in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht noch weit in die nächste Spielzeit hinein alles unter sehr anderen Bedingungen laufen wird.“ Entscheidend werde der 30. April sein, wenn die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten zusammenkommen, um über das Vorgehen nach dem 3. Mai zu sprechen.

Das Theater will das neue Jahresheft und das Programm für die kommende Spiel am 30. April vorstellen.

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