Mönchengladbach Marschmusik – volle Pulle auf dem Schlagzeug

Mönchengladbach · Joachim Küppers unterrichtet an der Musikschule geistig behinderte Jugendliche. Ein Besuch beim Trommeltraining.

 Joachim Küppers, Leiter des Fachbereichs Förderpädagogik an der städtischen Musikschule, unterrichtet seine geistig behinderten Schüler Philipp, Hannes und Joel (v.l.). 

Joachim Küppers, Leiter des Fachbereichs Förderpädagogik an der städtischen Musikschule, unterrichtet seine geistig behinderten Schüler Philipp, Hannes und Joel (v.l.). 

Foto: Detlef Ilgner/Ilgner Detlef

Joel trommelt am liebsten zu Marschmusik – und zwar richtig laut. Wer ihm an diesem Dienstagmorgen in der Musikschule zuhören will, setzt besser einen Kopfhörer mit Schallschutz auf. Als „Preußens Gloria“ einsetzt, legt der 13-Jährige ein Trommel-Solo hin, dass man staunt: rhythmisch sauber und technisch anspruchsvoll mit Vorschlägen, Doppelschlägen und Presswirbeln. „Joel hört extrem gut, und er hat ein tolles Rhythmusgefühl“, sagt sein Lehrer Joachim Küppers, der den Fachbereich Förderpädagogik leitet.

Auch seine Mitschüler Philipp und Hannes, die wie Joel eine geistige Behinderung haben, mögen Musik mit deutlichem Rhythmus und einfacher Struktur. Philipp spielt ein Trommelsolo zu „Kölle Alaaf“, Hannes liebt Schützenfestmusik. Küppers hat die Stunde klar strukturiert: Es gibt immer erst Rhythmusübungen, dann Improvisation am Schlagzeug und Gesang, am Ende darf jeder ein Solo spielen. Küppers lobt, er ist freundlich und geduldig. Aber er fordert seine Schüler auch. „Das kannst du noch besser“, sagt er öfter und lässt eine Stelle wiederholen, bis sie sitzt. Die drei arbeiten voll engagiert mit. Küppers ist ebenfalls Fachleiter für Zupfinstrumente, er hat auch viele Regelschüler. „Ich arbeite hier nicht therapeutisch, sondern pädagogisch wie mit jedem Kind“, sagt er.

Joel, Philipp und Hannes gehören zu den 42 Schülern mit besonderem Förderbedarf, die jede Woche zum individuellen Unterricht kommen. Die Musikschule bietet darüber hinaus sechs Ensembles an, in denen Schüler mit Behinderung mitspielen. Neun speziell weitergebildete Lehrer aus allen Fachbereichen arbeiten mit.

In den letzten fünf Jahren boomt das Thema Inklusion an den deutschen Musikschulen. In Mönchengladbach gibt es die Förderpädagogik schon seit 1981. Inklusion ist teuer, denn diese Arbeit ist personalintensiv. Bis zu fünf Lehrer leiten ein Ensemble mit acht Schülern. Trotz aller Sparzwänge wurde der Etat für Förderpädagogik nie gekürzt. „Wir wollen jedem Kind die gleiche Möglichkeit geben, durch Musik seine Persönlichkeit auszudrücken“, sagt Schulleiter Christian Malescov. „Die Musikschule Mönchengladbach ist ein hervorragendes Beispiel für gute inklusive Arbeit“, bestätigt Ruddi Sodemann vom NRW-Landesverband der Musikschulen. „Ihr Angebot und Engagement sind vorbildlich.“

In der Regelschule lernen 30 Schüler den gleichen Stoff. „Wir sind hier wie eine Insel in der normierten Welt, weil wir jedes Kind seinen Fähigkeiten entsprechend individuell fördern“, sagt Malescov. Das gilt für ein Kind mit Behinderung genauso wie für Hochbegabte. „Beide Kinder haben einen besonderen Förderbedarf.“

Zum Konzept gehört, dass alle Kinder regelmäßig Auftritte haben. Inklusive Ensembles treten bei Konzerten der Musikschule und Schulfeiern auf. Bereits zweimal hat eine Inklusions-Band der Musikschule im Auftrag der Landesregierung auf der Messe „Rehacare“ in Essen gespielt.

Sandy Hense vom Förderzentrum Nord koordiniert die Zusammenarbeit mit drei Förderschulen. Für viele Kinder sei ein Auftritt „ein Höhepunkt in ihrer musikalischen Entwicklung“, sagt sie. „Sie üben vorher intensiv und bekommen einen Schub für ihr Selbstbewusstsein.“

Die Erfahrung, dass Mühe sich lohnt, machen die Kinder aber auch im Unterrichtsalltag. Joel fällt es extrem schwer, still zu sitzen. Küppers hat ihn ständig im Blick. „Joel, du trommelst erst los, wenn ich es dir sage“, stellt er klar. Als die Trommelstöcke in den Händen des Jungen trotzdem zucken, sagt er: „Leg sie am besten zur Seite, sonst bist du die Stöcke los!“ Joel beißt sich kurz darauf auf die Lippen, sein Bein zuckt. Küppers nimmt wieder Kontakt auf: „Joel, guck mich an. Ich vergesse dich nicht.“ Und der Junge schafft es, seinen Einsatz abzuwarten.

„Er ist ein toller Junge“, sagt Küppers. „Er hat eine ungeheure Energie. Man muss sie nur in gute Bahnen lenken.“ Wie Joel seinen Lehrer findet? „Er ist ein cooler Typ“, erklärt er, „nur nicht, wenn er streng ist.“ Küppers lacht. „Joel ich mag dich genauso, wenn du nicht so lieb bist.“ Da strahlt Joel ihn an. „Ich dich doch auch!“

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