Mönchengladbach Aufrührende Geistergeschichten

Mönchengladbach · Der amerikanische Künstler Karl Nussbaum hat im Museum Schloss Rheydt zwei Rauminstallationen geschaffen, die Bezug nehmen auf seine jüdische Herkunft. Es geht um seine Familie, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurde.

 Auf der Rheydter Thorarolle sind Lichter zum Gedenken an Kriegsleid und die ermordeten Juden zu sehen. Es werden Fotos von Karl Nussbaums Familienmitglieder eingeblendet, Ansichten von Rheydt vor dem Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung der Innenstadt nach dem verheerenden Bombenabwurf im August 1943.

Auf der Rheydter Thorarolle sind Lichter zum Gedenken an Kriegsleid und die ermordeten Juden zu sehen. Es werden Fotos von Karl Nussbaums Familienmitglieder eingeblendet, Ansichten von Rheydt vor dem Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung der Innenstadt nach dem verheerenden Bombenabwurf im August 1943.

Foto: Isabella Raupold

Der Tisch ist gedeckt – für die Familie Goebbels. Zwei große Teller für die Eltern, sechs kleinere für die Kinder. Zwei Plüschhasen – einer hockt, der andere liegt wie erschossen auf der Seite, eine Puppe, auf dem Rücken liegend, die Beine breit in die Luft gestreckt, ein Spielzeugbus und eine Figur sind Hinweise auf die Plätze, die für die Mädchen und Jungen der Familie eingedeckt sind. Die Weingläser der Eltern am Ende des Tisches sind umgefallen. Ein mit Spitze eingefasster Tischläufer sorgt für den bürgerlich-spießigen Anstrich.

Der amerikanische Künstler Karl Nussbaum hat den Raum im Keller des Museums Schloss Rheydt für eine Video-Installation anlässlich der Jüdischen Kulturtage ausgewählt. In dem abgedunkelten Raum werfen Projektoren Bilder an die Wände und in das Gewölbe. Schwarz-Weiß-Ansichten des Schlosses und seiner Umgebung ziehen vorüber, und an der Stirnseite des Raumes ist zunächst eine flackernde Kerze zu sehen. Dann erklingt eine männliche Stimme aus dem Off: Dies ist eine kleine Geistergeschichte für euch, meine Kinder. Szenen aus Märchen und grässliche Fratzen huschen vorüber, dann erscheint die Familie Goebbels, die bekanntermaßen in Rheydt lebte.

„Joseph Goebbels und seine Frau haben sich und die Kinder filmen lasssen, um sich als Vorzeigefamilie in den Wochenschauen der Kinos zu präsentieren“, sagt Karl Nussbaum. Da ist Magda Goebbels beim Vorlesen in der Schar ihrer Kinder zu sehen, Joseph Goebbels mit vier der Kinder beim Spaziergang im Park. Heile Welt. Doch die letzte Sequenz zeigt die sechs Kinder leblos nebeneinander auf dem Boden liegend. Und die Stimme sagt: Als wir wussten, dass der Krieg verloren war, haben wir euch vergiftet und dann uns selbst getötet. Das ist schwer verdaulich, geht unter die Haut, macht fassungslos, am Ende zornig.

Der Künstler arbeitet bereits zum dritten Mal in Mönchengladbach. Der Kontakt zur hiesigen Kunst-Welt kam durch einen Zufall zustande. Bei einem Aufenthalt in Amsterdam lernte Karl Nussbaum die Künstlerin Sarah von Sonsbeeck kennen, die 2011 als Atelierstipendiatin in Mönchengladbach lebte und arbeitete. Als Nussbaum sie von diesem Erlebnis berichten hörte, bat er um einen Kontakt zur Stadt seiner jüdischen Vorfahren. So kam er mit Thomas Hoeps, dem Chef des Kulturbüros, ins Gespräch. Hoeps betreut den Künstler auch in diesem Jahr.

In einem anderen Raum der stadtgeschichtlichen Abteilung des Museums hat Karl Nussbaum eine zweite Installation geschaffen. Es ist der Raum, in dem die Rheydter Thorarolle aufbewahrt wird, die 2002 als Fragment bei Dachrenovierungen in Giesenkirchen gefunden wurde. Von einem hoch aufgehängten Projektor beamt der Künstler Fotos und Filmsequenzen auf die Schriftrolle. Ein Notenblatt mit einer Bach-Fuge wird in den Fokus geschoben, es geht in Flammen auf. Eine Straßenbahn fährt durch Rheydt, die Synagoge ist zu sehen – und Familienfotos: Franziska mit drei Kindern, Karl Nussbaums Großvater, der ebenfalls Karl hieß, Addi, Erwin, das letzte Foto der Familie Nussbaum in Rheydt, aufgenommen 1939.

Der Künstler hat sich auf die Spuren seiner Familie begeben. Das symbolisiert der Film, den er gedreht hat, während er rund um das Schloss wanderte. Mit der Kamera hat er seinen Schatten festgehalten, der schemenhaft über den Boden und die Vegetation streift. Rheydt ist ein wichtiger Ort für Karl Nussbaum. Das machen seine Arbeiten deutlich, das macht er spürbar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort