Mönchengladbach "Ich hasse sie, jetzt ist es raus"

Mönchengladbach · Das Stück "Schwester von" feierte Premiere auf der Studiobühne des Theaters. Vor ausverkauftem Haus spielte Esther Keil die Ismene im Stück von Lot Vekemans. Inszeniert wurde es von Sascha Mey.

 Die Schauspielerin Esther Keil monologisiert als Ismene 80 Minuten lang auf der Bühne des Theaterstudios.

Die Schauspielerin Esther Keil monologisiert als Ismene 80 Minuten lang auf der Bühne des Theaterstudios.

Foto: Matthias Stutte

"Ich habe mir etwas geschworen. Ich habe mir geschworen, dass ich meine Schwester, dass ich ihren Namen ... nicht mehr ausspreche. Nie mehr ... laut ... ausspreche", klagt Esther Keil in ihrer Rolle als Ismene. Ismene, die Schattenfigur der Geschichte, die Vergessene, nicht mal die Verstoßene, die, die in Büchern nur in einem Nebensatz auftaucht - als die "Schwester von". Im gleichnamigen Stück von Lot Vekemans tritt sie aus ihrem Schattendasein und erzählt nach mehr als 3000 Jahren in einem Nicht-Raum ihre Geschichte.

Einen Tag nach der "Antigone"-Premiere wurde "Schwester von" erstmals im Studio gezeigt. In ihrem 80-minütigen Monolog nimmt Esther Keil die Zuschauer mit auf eine Reise in die Gedanken der Ismene, Schwester von Antigone, Eteokles und Polyneikes sowie Schwester und Tochter von Ödipus. Man durchlebt mit ihr ein Wechselbad der Gefühle - von liebevollen, frivolen, glücklichen Erinnerungen bis hin zu Trauer, Wut, Hass und Verzweiflung. All diese Gefühle bringt Esther Keil als alleinige Akteurin auf der Bühne perfekt rüber. Sie nimmt das Publikum mit durch die Höhen und Tiefen der Ismene, großartig dargestellt bis hin zum vor Trauer vibrierenden Kinn und den vor Zorn lodernden Augen.

Jahrtausendelang war Ismene allein in einem Raum mit Fliegen. Die Hunde in der Ferne machten ihr anfangs Angst, aber dann irgendwann beruhigte sie das Heulen - schließlich sei sie dank der Hunde doch nicht so ganz allein. Bis sie plötzlich auf einer Bühne steht. "Ich habe immer gedacht... naja, nicht immer. Manchmal. Gehofft. Gebetet vielleicht? Das eines Tages jemand ... hierherkommt. Nie gedacht, dass es so viele sein würden", stammelt Ismene, als sie sich plötzlich mit Menschen konfrontiert sieht. Und dieses Zögern ist typisch für Ismene. Doch es gibt auch die klare, sichere Ismene. Sie ist sich gewiss, dass sie ihre Schwester wirklich hasst! Und liebt. Und sie zieht es in Betracht, dass sie als Säugling vertauscht worden sein muss. Denn schließlich ist sie die einzig Normale in einer Familie, in der die anderen irre sind - alle.

Das Bühnenbild, ein Nicht-Raum am Ende einer Straße, die ins Nichts führt, hat Udo Hesse geschaffen. Das durchaus minimalistische Bühnenbild lässt genügend Raum für die schauspielerische Leistung der Esther Keil, welche unterstützt durch die Musik von Patrick Richard und akustischen Einspielungen eine komplexe Umgebung in den Köpfen der Zuschauer entstehen lässt. 3000 Jahre allein, nur mit Fliegen, deren Erschlagen sie perfektioniert hat, und dem Heulen der immer wieder freigelassenen Hunde.

80 Minuten Monolog und nicht einen Moment Langeweile, ein Wechselbad der Gefühle und eine Darstellerin, die dieser großen Aufgabe gewachsen ist. Ein Stück, das eine Lanze für das Normalsein schlägt, Vergebung über Rache stellt und eindrücklich vermittelt, dass doch eigentlich jeder einfach nur glücklich sein möchte.

(kaku)
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