Mönchengladbach Getanzte Geschichten
Mönchengladbach · Robert North bringt drei Tanzschöpfungen auf die Bühne, die den Zuschauer atemlos verharren lassen. Ein unglaubliches Erlebnis.
Es sind diese Momente, in denen Kopf und Seele derart gefangen sind, dass sie sich weigern, in die Realität zurückzukehren. Momente, die so unwiederbringlich scheinen – und sind. Momente, die nie gekannte oder auch vergessene Gefühle erzeugen, die nach dem Theaterbesuch nicht vergehen. Die begleiten, wärmen und erfreuen, die die Wirklichkeit in ein anderes Licht tauchen – in ein versöhnliches. Dieser Ballettabend hat all dies gemacht. Diese Sehnsucht nach Wiederholung – immer und immer wieder möchte man sich dieses emotionale Erlebnis gönnen.
Nachtvariationen: Ein junger Mann wird in seinen Träumen mit seinen Sehnsüchten, Hoffnungen und Ängsten konfrontiert. Und mit seiner unerfüllten Liebe. Immer wieder begegnet er seiner Traumfrau, die er nicht festhalten kann. Sie verschwindet, er bleibt allein. Die Tänzer erzählen die Traum-Geschichten. Es sieht so mühelos aus, wenn sie vollkommen synchron ihre weiten, weichen Sprünge machen, wenn sie gemeinsam zu schweben scheinen. Die ungeheure Kraft und Energie, die sie für diese Perfektion aufbringen müsse, spürt der Zuschauer nicht. Die Tanzcompagnie des Gemeinschaftstheaters gönnt ihm stattdessen Magisches, Zauberhaftes.
Begleitet werden die Tänzer von André Parfenov, der die Musik zu „Nachtvariationen“ komponiert hat. „Der Schwierigkeitsgrad meiner Kompositionen ist hoch“, hat er in einem Interview gesagt. „Deshalb spiele ich meine Musik selber.“ Jawohl. Parfenov bespielt nicht nur die Tasten, er beugt sich in den Korpus des Flügels, zupft die Saiten. Dieser Musiker ist eins mit seinem Instrument, er entlockt ihm alles, das Klavier steht ihm zu Diensten. Fantastisch. Ja, in dieser Nacht der Variationen ist ganz schön viel los – auf der Bühne und vor der Bühne, wo André Parfenov ganz allein ein großes Musikspektakel abliefert.
Für meine Tochter: Diese Geschichte ist todtraurig. Der Komponist Leos Janacek hat die Musik in Erinnerung an seine Tochter Olga geschrieben, die im Alter von 20 Jahren gestorben ist. Janacek wird verkörpert von dem großartigen Alessandro Borghesani, der auch schon der Träumende in „Nachtvariationen“ ist. Er tanzt das Leid, er tanzt die Verzweiflung, er tanzt die fast nicht zu ertragende Szene, als der Vater seine sterbende Tochter (Irene van Dijk) in den Armen hält. Aber da sind auch Momente des Glücks. Wenn der Vater sich an unbeschwerte Tage erinnert. Zwei Schwalben, die wie Waldfeen in die Szenen schweben, spenden Trost. André Parfenov ist wiederum der Virtuose am Klavier. Ballettchef Robert North und seine Assistentin Sheri Cook haben ihre Seelen in die Choreografien des Abends gelegt. Wie immer, möchte man sagen.
Boléro: Zum Abschluss ein Publikumsliebling – der Klassiker von Maurice Ravel. Die Musik allein ist – trotz ihrer gleichförmigen Abfolgen – so ungeheuer kraftvoll und in ihren Steigerungen und dem abrupten Ende bis zur Extase expressiv. Die Tänzer steigern die Dramatik, die der Zuschauer körperlich und seelisch kaum zu ertragen imstande ist. Atemlos saugt er Tanz und Musik auf, wagt sich nicht zu bewegen, auf keinen Fall darf diese Intensität gestört werden. Am Ende: tiefes Durchatmen und unbändiger Applaus. Eine Uraufführung: Nachtvariationen. Eine schicksalhafte Geschichte: Für meine Tochter. Und auf Wunsch vieler Theatergäste ein Klassiker: Boléro. Mehr kann man von einem Ballettabend nicht erwarten. Bravo!
Nächste Vorstellungen: 7., 14., 26. und 31. Oktober; 10. und 17. November, 7. Dezember; Karten unter 02166 6151-100 und auf www.theater-kr-mg.de
