Mönchengladbach Dada - keine leichte Kost

Mönchengladbach · Theaterinspizient Joachim L. Bähr und Sängerin Katharina Ihlefeld entführten die Zuhörer im Studio in die Welt des Hugo Ball. Dada-Nonsens war das nicht.

Mönchengladbach: Dada - keine leichte Kost
Foto: Jörg Knappe

Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heißen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er überhaupt etwas heißen? Müssen wir denn überall unseren Mund dran hängen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine öffentliche Angelegenheit ersten Ranges.

Hugo Ball hat das geschrieben - in seinem Manifest zum 1. Dada-Abend in Zürich 1916. In der gleichen Schrift weist er nach, dass Dada ein internationales Wort ist: Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Französischen bedeutet es Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Rücken runter, auf Wiedersehen, ein ander Mal! Im Rumänischen: Ja, wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir. Und so weiter.

Mit den höchst intellektuellen Schriften und Wort-Experimenten des Dadaismus-Mitgründers Hugo Ball beschäftigte sich Theaterinspizient Joachim L. Bähr im Studio des Theaters. Er hatte es vorher angekündigt: "Es wird kein Dada-Nonsens-Abend." Stimmt. Es wurde eine überaus kurzweilige, gleichzeitig ungeheuer fordernde Veranstaltung - sowohl für die Akteure als auch für die Zuschauer. Ein ziemlich abgewrackter Tisch mit Büchern in wohldurchdachter Ordnung, eine Klappleiter, ein Klavier, ein Hocker und ein Notenständer - das war die Requisite in dem dunklen Studio-Raum. Ein kleiner Teddybär war das einzig Niedliche an diesem Abend, der ansonsten dem Publikum eine Menge abverlangte - und gleichzeitig viel schenkte.

Begleitet wurde Bähr von Katharina Ihlefeld, die nicht nur sang, sondern auch die Trommel, die Altflöte und das Klavier spielte. Wobei letzteres gelegentlich auch als Schlaginstrument genutzt wurde. Beides geschah in der Regel gleichzeitig - Joachim L. Bähr las aus Balls Schriften, und Katharina Ihlefeld musizierte und sang dazu oder rezitierte die Lautgedichte Balls. Genau so soll es im berühmten Cabaret Voltaire zugegangen sein, im Geburtsort von Dada in Zürich, eröffnet von Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916.

Zumindest zu Beginn der Vorstellung bemühte sich der Zuhörer um Gleichzeitigkeit. Hier die Worte des hervorragenden Rezitators Bähr, da die oft zarten Klänge der Sängerin. Das gelang nur schwer, musste letztlich scheitern. Simultanes Hören ist eine echte Herausforderung. Im Laufe des Abends wurde das Zuhören entspannter. Das Gehirn des Menschen ist schon ein erstaunliches Ding.

Hugo Ball, 1886 in Pirmasens geboren, hatte Deutschland nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verlassen. Die Schweiz wurde für ihn wie für viele andere Intellektuelle und Künstler zum Zufluchtsort, zum "Vogelkäfig, umgeben von brüllenden Löwen" (Hugo Ball). Dada wird geboren, aber schon ein Jahr danach wendet sich Hugo Ball von der eigenen Schöpfung ab. Er konzentriert sich auf die Politik und sehr intensiv auf die Religion. Genauer - den Katholizismus.

Dieser Teil von Hugo Balls Leben war Thema der zweiten Hälfte der Aufführung unter dem Titel "In der Anarchie lauert die Religion". Hugo Ball forderte sein Heimatland auf, seine Kriegsschuld einzugestehen. Er rechnete mit Martin Luther ab. Joachim L. Bähr rezitierte Ball mit viel Empathie. Dazu sang Katharina Ihlefeld Luthers Kirchenlied "Eine feste Burg ist unser Gott".

Harter Tobak das - weit entfernt von Dada-Nonsens. Aber das hatte Joachim L. Bähr ja bereits vorher klargestellt.

(RP)
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