Mönchengladbach Kriz als Startpunkt in neues Leben

Mönchengladbach · Nadine S. hat eine bewegte Geschichte hinter sich, als sie mit 17 Jahren in das Kriseninterventionszentrum an der Kyffhäuserstraße gebracht wird. Dort findet sie das, was sie immer gesucht hat: Sicherheit und Zuversicht. Heute lebt sie eigenständig und weiß genau, was sie will – und was nicht.

 Nadine S. wurde verletzt und verletzte sich selbst. Mit 17 Jahren kam sie ins Kriz. Elf Monate lernte sie dort, sich selbst und andere Menschen zu mögen.

Nadine S. wurde verletzt und verletzte sich selbst. Mit 17 Jahren kam sie ins Kriz. Elf Monate lernte sie dort, sich selbst und andere Menschen zu mögen.

Foto: Detlef Ilgner

Nadine S. hat eine bewegte Geschichte hinter sich, als sie mit 17 Jahren in das Kriseninterventionszentrum an der Kyffhäuserstraße gebracht wird. Dort findet sie das, was sie immer gesucht hat: Sicherheit und Zuversicht. Heute lebt sie eigenständig und weiß genau, was sie will — und was nicht.

Endlich hat sie ihre Ruhe gefunden. Ist angekommen, nicht mehr auf der Flucht. "Ich hatte immer den Drang wegzulaufen", sagt Nadine S. "Jetzt weiß ich endlich, wohin ich gehöre." Dabei hat ihr das Kriz geholfen, sagt sie. Im Kriseninterventionszentrum an der Kyffhäuserstraße hat sie fast elf Monate gelebt. Das war vor sechs Jahren, damals war sie 17 Jahre jung. "Das Kriz war meine Rettung. Seitdem ich da war, weiß ich, was in meinem Leben falsch gelaufen ist und wie ich meine Zukunft gestalten will."

Mit elf Jahren hat sie sich zum ersten Mal "geritzt". Mit dem Messer hat sie ihren Handrücken traktiert, bis Blut floss. "Damals war ich wütend auf meine kleine Schwester, ich wollte sie schocken." Als Nadine S. 13 Jahre alt war, wurde das Ritzen zur zwanghaften Selbstbestrafung. "Ich dachte, ich bin böse, und keiner mag mich." Viel später erst haben ihr Therapeuten erklärt, dass sie sich die schmerzhaften Verletzungen zufügte, weil sie sich selbst nicht mochte, sich minderwertig fühlte. Doch bis dahin musste die heute 23-Jährige einen langen Weg zurücklegen.

Ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie neun Jahre war. "Plötzlich war mein Vater weg und meine Mutter, meine Schwester und ich blieben zurück." Sie besuchte — wegen mehrerer Umzüge — unterschiedliche Grundschulen. Bis zur sechsten Klasse ging sie zur Realschule, dann zur Hauptschule, die sie in der neunten Klasse abbrach. Es gab Differenzen mit der Mutter, sie zog zum Vater, der inzwischen eine neue Familie gegründet hatte. "Das ging nicht gut", sagt Nadine S. Ihre Mutter nahm sie wieder auf. Das Ritzen wurde unkontrollierter.

Die zu dieser Zeit 14-Jährige verletzte sich an Armen und Beinen — immer mehr, immer exzessiver. Sie landet in den Rheinischen Kliniken. Dann wieder zurück zur Mutter. "Das Ritzen wurde schlimmer, ich wollte weg, wusste aber nicht, wohin." Sie kommt in eine Pflegefamilie. Auch dort wird sie nicht glücklich. Die nächste Station ist eine Wohngruppe der Rheinischen Kliniken. Mit 15 Jahren ist sie wieder bei der Mutter. Dann entflieht sie wieder, lebt eine Weile bei einer Freundin und wird dann einem katholischen Kinderheim anvertraut, "Das war das reinste Chaos", sagt sie heute. Sie war mitten in der Pubertät, rebellisch und störrisch. "Ich habe in meiner eigenen Welt gelebt." Sie sieht sich Serien im Fernsehen an, fantasiert sich in die Handlung, flüchtet aus der Realität. Sie wird in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt.

Dann bringt sie das Jugendamt in einer Wohngemeinschaft von Schloss Dilborn unter. "Da war es gar nicht so schlecht", sagt Nadine S. heute. Aber schon wieder packte sie der Drang wegzulaufen. Sie stahl Geld aus der Kasse und fuhr mit der Bahn zu einer Freundin in Düren. Die Polizei spürt sie auf, mitten in der Nacht wird sie zum Kriz an der Kyffhäuserstraße gebracht. "Da fing mein neues Leben an", sagt sie rückblickend.

An die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die Vorschriften und klar definierten Regeln gewöhnt sie sich schnell. "Im Kriz habe ich gelernt, über mich, meine Probleme, Ängste und Wünsche zu sprechen. Da hatte immer jemand Zeit für mich." Obwohl sie die erste Zeit das Haus nicht verlassen darf und unter dem Freiheitsentzug leidet, will sie zum ersten Mal nicht fliehen. "Ich wusste: Das ist meine Chance." Immer wieder wird sie von den Betreuern gefragt: "Nadine, was willst du machen? Wie soll deine Zukunft aussehen?"

Nadine S. hat inzwischen ihren Hauptschulabschluss nachgeholt. Es folgte der Realschulabschluss. Sie lebt eigenständig in ihrer Wohnung und sucht eine Ausbildungsstelle — "Garten- oder Landschaftspflege wäre schön, aber ich bin offen für alles." Die Zeit überbrückt sie mit ehrenamtlicher Arbeit. Sie arbeitet in einem Altenheim, betreut eine alte Dame. Sie hat ihr Leben im Griff. Und im Hintergrund Schloss Dilborn. "Die Menschen da sind meine Familie geworden."

(RP)
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