Mönchengladbach Kinder trinken sich ins Koma

Mönchengladbach · In der Kinderklinik des Krankenhauses Neuwerk enden viele Partys: Teenager, die zu viel Alkohol getrunken haben, werden eingeliefert und 24 Stunden überwacht. Danach sind sie meist sehr kleinlaut. Die meisten sind erst 15, die Jüngsten gerade mal zwölf Jahre alt.

Mönchengladbach: Kinder trinken sich ins Koma
Foto: AP, AP

Als im Schwesternzimmer auf Gruppe B das Telefon klingelt, ist es 22.35 Uhr. Ein Rettungswagen hat in der Notaufnahme die baldige Ankunft eines Jugendlichen angekündigt, 15 Jahre alt, stark alkoholisiert. Für Schwester Diana Schippers am Ende der Telefonkette ist das das Startsignal: Sie rollt den Überwachungsmonitor in Zimmer 220 und bereitet alles für die Infusion vor.

Die Jungen und Mädchen, deren Party in der Kinderklinik des Krankenhauses Neuwerk endet, sind oft in einem erbärmlichen Zustand: Ihre Kleidung ist mit Erbrochenem, Kot und Urin beschmutzt. Schwester Diana weiß, was sie in solchen Fällen braucht: Sie legt eine große Tüte für die Klamotten, Pappschalen zum Spucken, Tücher und eine riesige Pampers bereit — für alle Fälle.

Der 15-Jährige ist währenddessen in der Notaufnahme angekommen. Er weint und beteuert immer wieder: "Das ist mir so peinlich! Das ist ein Drama!" Mit Freunden hatte Bastian den Abend verbracht. Vor einem Bierzelt, in das er wegen seines Alters nicht eingelassen wurde. Den Alkohol habe er dort von einem Jungen bekommen, den er nicht kannte. "Ich wollte mal so viel trinken wie die anderen. Jetzt lachen die über mich", jammert der Teenager. Seine Kumpels waren es auch, die den Rettungswagen verständigt haben, als Bastian sich übergeben musste und ihnen außer Kontrolle geriet.

Nun sitzt der 15-Jährige auf der Bank unter dem lustigen Walross an der Wand und bemüht sich, halbwegs vernünftige Sätze zu Stande zu bringen. Als klar ist, dass er nicht bleiben muss, sondern von seinen Eltern abgeholt werden kann, laufen wieder Tränen. Schwester Hannelore Bruhn nimmt ihn in den Arm: "Liebchen, du musst nicht so heulen. Du bist nicht der Erste, dem das passiert." Und in dieser Nacht vermutlich auch nicht der Letzte.

Im Krankenhaus Neuwerk gehören jugendliche Alkoholsünder an Wochenenden und Feiertagen zum Alltag. Alle, die noch nicht 18 sind, landen in der Kinderklinik. Die Jüngsten sind gerade mal zwölf Jahre alt, die meisten um die 15. Jungen und Mädchen halten sich die Waage. Meist haben sie Wodka getrunken. Vielen ist es wahnsinnig peinlich, andere werden frech, aggressiv oder sind ganz cool: Sie kommen nicht zum ersten Mal und kennen die Prozedur bereits.

An Karneval mussten insgesamt 17 Betrunkene aufgenommen werden — für manche gab es nur noch einen Platz auf dem Flur. Der Erste kam bereits morgens um zehn Uhr. "Manche der Kinder sind so komatös, dass sie gar nichts mehr mitbekommen. Wenn die am nächsten Tag wüssten, wie sie hier angekommen sind…", sagt Kinderärztin Britta Winkler, die Bastian nach eingehender Untersuchung in die Obhut der Eltern übergeben kann. "Es ist traurig. Aber es ist unser Job."

Um 2 Uhr morgens bringt der Rettungswagen den nächsten Partygänger: Lukas, 16 Jahre, hat jede Menge Bier und Korn-Cola getrunken. Er zieht in Zimmer 220 ein, das eigentlich für Bastian vorbereitet war. Er wird an den Monitor angeschlossen; Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Atmung werden überwacht. Seine Blutprobe zur Bestimmung des Blutbildes und der Leberwerte geht ins Labor.

Als die Infusion gerade anläuft, muss sich der 16-Jährige erneut übergeben — diesmal in sein Bett und auf den Boden davor. In der Jackentasche hatte Lukas Zigaretten, ein Handy und sein Portemonnaie mit Schoko-Ticket. Nicht selten muss die Polizei kommen, um die Kinder anhand der Nummer dieses Fahrscheins zu identifizieren. Bei Lukas ist das nicht nötig. Er ist voll ansprechbar. "Hab ich eine Alkoholvergiftung? Echt?!" Der Junge friert und wirkt tatsächlich geschockt, schläft aber schließlich ein. Ein Babygitter schützt den 16-Jährigen davor, dass er aus dem Bett fällt.

Seine Alkohol-Fahne weht bereits durchs ganze Zimmer. Um 2.20 Uhr klingelt bei Lukas' Eltern das Telefon. Britta Winkler klärt sie auf und beruhigt. Eine Stunde später stehen die Eltern auf Gruppe B, um die Formalitäten zu klären. "Das wird ihm eine Lehre sein. Das passiert ihm nicht noch einmal", sagt der Vater. Traurig sei er, dass sein Sohn das Vertrauen, das sie ihm geschenkt hatten, nicht zurückgegeben hat. Die Folge: "Wir werden ihn in den nächsten Wochen an der kurzen Leine halten. Und die Zigaretten aus seiner Tasche können Sie gleich wegschmeißen. Bitte samt Feuerzeug."

(RP)
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