Mönchengladbach Keine Jobs für Behinderte

Mönchengladbach · Als einzige Gruppe auf dem Arbeitsmarkt steigt die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten. Unternehmer scheuen das "Risiko" einer Einstellung und zahlen lieber die Abgabe. Harald Gerstung macht's anders.

André Keller schleift sorgfältig die Kante des Armaturenbretts ab. Das Kunststoffteil, das der 48-jährige bearbeitet, schmückt in wenigen Wochen das Cockpit eines SLR, dem Luxussportwagen von Mercedes. Die Gladbacher Firma Gerstung liefert exklusiv Komponenten für das 400.000-Euro-Fahrzeug. Und Keller ist als Produktionshelfer mit dabei. "Ein toller Job", sagt er. Dabei war er vor zwei Wochen noch arbeitslos. Seit 30 Jahre habe er keine "richtige Arbeit" mehr gehabt, sagt er. Der Grund: André Keller ist geistig behindert. Auf dem Arbeitsmarkt wirkt sein Behindertenausweis wie ein Ausschlussstempel.

Das belegt die Mönchengladbacher Arbeitslosenstatistik. Während im Aufschwung der vergangenen Monaten Betroffene aus allen Gruppen, Langzeitarbeitslose, Frauen, junge Menschen und Ältere, wieder Jobs finden konnten, steigt die Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten. Im Agenturbezirk im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent auf 1800 Arbeitslose.

"Unkalkulierbares Risiko"

Die Ursachen: Auf der einen Seite wird der Kreis der Behinderten durch neue als Behinderung erfasste Erkrankungen und der Alterung der Gesellschaft (Demenz) größer. Andererseits verstärkt der Wettbewerbsdruck in der Wirtschaft die Scheu der Unternehmer vor einer Einstellung. Behinderte gelten als unkalkulierbares Risiko. Die rechtlichen Vorgaben, für Behinderte gilt ein verschärfter Kündigungsschutz, würden es ihm erschweren Behinderte einzustellen, gibt ein Gladbacher Geschäftsführer im Gespräch zu. Da zahle er lieber die gesetzlich vorgeschriebene Abgabe.

Für Harald Gerstung, Geschäftsführer des gleichnamigen Systemtechnik-Unternehmens, war die geistige Behinderung indes kein Grund auf André Keller zu verzichten. Im Gegenteil. "Behinderte Menschen arbeiten oft sorgfältiger und gewissenhafter als die so genannten ,Normalen'", sagt er. Gerstung muss es wissen. In seinem Betrieb an der Breite Straße ist jeder sechste Mitarbeiter körperlich oder geistig eingeschränkt. Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestquote von fünf Prozent überschreitet das Unternehmen, das Prototypen-, Modell und Werkzeuge für die Automobilindustrie liefert, locker.

Vom Staat wird der Unternehmer bei seinem Engagement unterstützt. In der Eingliederungsphase zahlt die Arbeitsagentur Lohnkostenzuschüsse. "Danach zahlen wir den ganz normalen Tarif", so Gerstung. Dass viele Unternehmerkollegen allerdings lieber die Abgabe — 100 bis 260 Euro pro Arbeitsplatz — zahlen, als Behinderten eine Chance zu geben, versteht er nicht. "Für mich ist das selbstverständlich." Auch aus wirtschaftlichen Gründen. "Die sind zufrieden, wenn sie arbeiten können. Das ist die beste Motivation."

(RP)
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