Mönchengladbach Karriere eines parteilosen Bildungsbürgers

Mönchengladbach · Bildungsbürger. Für Busso Diekamp ist das kein Schimpfwort. "Nein, ich bin absolut bildungsbürgerlich aufgewachsen. Schon früh kam ich über meine Eltern mit Philosophie, Theologie und Literatur in Kontakt. Mein Vater war ein großer Theater- und Kunstliebhaber." Sein Vater, Dr. Leo Diekamp, war Rechtsanwalt und CDU-Ratsherr in Bochum gewesen, zudem Sekretär der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft.

"Das Biest ist ja Jugendstil"

Architektur oder Kunstgeschichte – diese Fächer hätte der Sohn und Kulturdezernent a. D. gerne studiert. Doch er beugte sich der Familientradition. "Ich bin mütterlicherseits in der achten oder neunten Generation Jurist. Mein Vater hätte gerne gesehen, dass ich seine Kanzlei übernehme. Aber als Rechtsanwalt zu arbeiten, hätte mich nicht gereizt." Stattdessen wurde er zunächst Regierungsassessor in Münster, dann erster Beigeordneter der Stadt Ratingen. Dabei wusste er zunächst gar nicht, wo Ratingen liegt. "Ich dachte damals, alle Städte mit den Endungen -ingen und -lingen lägen irgendwo in Schwaben." In Ratingen war Diekamp, wie er sagt, für "fast alles" zuständig. Unter anderem leitete der parteilose Beamte Rechtsamt, Ordnungsamt, Einwohnermeldeamt, Schulverwaltungsamt, Kulturamt und Sozialamt. "Das war eine tolle Erfahrung, da man viele Einblicke gewann." Diekamp lacht. "Bald kannte man sogar die Schnapsmarke der Obdachlosen." Auch wenn der ehemalige Stadtdirektor sein juristisches Können später nicht mehr regelmäßig brauchte, in Ratingen leistete das Studium ihm gute Dienste: Schnell galt Diekamp als führende Kraft im Abwehrkampf gegen den Ausbau des Düsseldorfer Flughafens. Inmitten des Gefechtes erhielt er einen Anruf aus Mönchengladbach, wiederum aus einer Stadt, die er nie zuvor betreten hatte. Doch dieses Mal hätte sich die mangelnde Ortskenntnis beinahe gerächt.

Einen Tag vor dem Bewerbungsgespräch brannte die Kaiser-Friedrich-Halle nieder. "Würden Sie die Halle im alten Stil wieder aufbauen oder aber etwas Neues errichten?", fragte der ehemalige Oberstadtdirektor Dr. Wilhelm Elbers den Bewerber. Noch nie hatte Diekamp die Kaiser-Friedrich-Halle gesehen. "Ich dachte natürlich zuerst, es würde sich um eine Markthalle oder Sporthalle handeln. Als ich dann den Namen Kaiser Friedrich hörte, war mir klar, dass es etwas Kulturelles sein muss. Es klingt wilhelminisch. Also habe ich eine donnernde Rede über die Neogotik gehalten, da der Historismus ja eigentlich immer gotisch war." Nach dem Gespräch fuhr Diekamp zur Kaiser-Friedrich-Halle – und erschrak. "Um Gottes Willen, dachte ich, das Biest ist ja Jugendstil mit Barock-Einfluss." Bis heute weiß Diekamp nicht, ob seine Gesprächspartner ihm auf die Schliche gekommen sind. Wahrscheinlich, sagt Diekamp, sei es der "vornehmen Zurückhaltung des Gladbacher Rates" zu verdanken gewesen, dass ihn niemand korrigiert habe. Er hatte darauf geachtet, sich weder dezidiert für einen Neubau noch für die Wiedererrichtung auszusprechen. "Anscheinend habe ich aber beide Lager bestens bedient. Beide dachten noch Wochen später, ich sei auf ihrer Seite."

(RP)
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