Mönchengladbach Kampf gegen Niedriglöhne im Regiopark

Mönchengladbach · Mit einer Handzettel-Aktion bei Esprit bewarb die Gewerkschaft Verdi ihr neues Kampagnenbüro für die Logistikfirmen in Güdderath. Eine Studie zeigt derweil, dass die Kaufkraft in Gladbach durch einen Mindestlohn um 58 Millionen Euro stiege.

Um 14 Uhr ist Schichtwechsel bei Esprit. Aus dem Logistikzentrum des Textilunternehmens im Regiopark strömen viele Dutzend Mitarbeiter in roten Hosen, ähnlich viele laufen über den Parkplatz in Richtung der Eingangsschleusen. Mittendrin: eine kleine Abordnung der Gewerkschaft Verdi, ausgerüstet mit Handzetteln, die weggehen wie warme Semmeln. Denn immer wieder stoßen die Verdi-Leute mit ihren Ansprachen auf reges Interesse.

Werden Pausenzeiten eingehalten? Wie sieht es mit Urlaubsregelungen aus? Werden unbefristete Anstellungen in Aussicht gestellt? Fast jeder der Mitarbeiter schnappt sich einen Flyer. "Gut zu wissen", sagt einer über die Tatsache, dass Verdi just gestern ein Kampagnenbüro für die Logistikbetriebe im Regiopark eröffnete — im Postgebäude an der Hanns-Martin-Schleyer-Straße.

Esprit/Fiege ist das erste der drei großen neuen Logistikzentren im Regiopark, das den Betrieb aufnahm. Und für Verdi im Prinzip ein gutes Beispiel. "Im Frühjahr gab es Betriebsratswahlen, mittlerweile hat der Betriebsrat die Arbeit aufgenommen", sagt Frank Indervoort, Logistik-Experte der Gewerkschaft. Das stehe auf der Habenseite — zur Wahrheit gehöre jedoch auch, dass nur rund 100 Mitarbeiter fest angestellt seien, während je nach Auftragslage bis zu zwei Drittel der Belegschaft über Zeitarbeitsfirmen in die Hallen gespült würden.

Bei DHL/Primark, das sich danach ansiedelte, ist man so weit noch nicht. "Dort sind die meisten der derzeit rund 200 Mitarbeiter befristet angestellt", so Indervoort. "Deswegen gibt es noch Vorbehalte gegenüber einer Betriebsratsgründung." Und Zalando hat den Betrieb noch nicht aufgenommen, hat bisher lediglich Kräfte für leitende Positionen eingestellt. "Im Spätherbst sollen es bis zu 300 Mitarbeiter sein. Dann muss man sehen", sagt Verdi-Handelsexperte Frank Michael Munkler. Ziel und Zweck des Kampagnenbüros: Betriebsratsgründungen begünstigen — und Dumpinglöhne im Regiopark verhindern. "Dabei haben wir ganz besonders Zalando im Blick", sagt Mechthild Schratz, Verdi-Geschäftsführerin für den Linken Niederrhein.

Im Prinzip geben jedoch auch die Verdi-Leute zu: Jeder zusätzliche Arbeitsplatz ist ein Gewinn. "Wenn wir uns nicht darüber freuen würden, würden wir auch dieses Büro nicht eröffnen", sagt Indervoort. Esprit/Fiege sehe man auf einem guten Weg. "Es gab eine saisonale Delle, aber Unternehmen und Betriebsrat versichern uns, dass die 600 angepeilten Stellen realistisch sind, wenn der Betrieb voll eingespielt ist." Auch bei DHL/Primark laufe der Betrieb "sehr hoffnungsvoll" an. "Es wird ja konkret über die Verdopplung der Hallenfläche nachgedacht. Das ist ein gutes Zeichen", sagt Indervoort.

Unterdessen haben die Gewerkschaften Verdi und NGG eine Studie des Pestel-Instituts Hannover vorgelegt. Es kommt zu dem Schluss, dass in Mönchengladbach rund 26 040 Menschen für einen Niedriglohn arbeiten — sie verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Die Wissenschaftler haben zudem untersucht, welche Effekte ein gesetzlicher Mindestlohn für die Wirtschaft hätte: "Die Kaufkraft in Mönchengladbach würde um 58,2 Millionen Euro pro Jahr steigen — vorausgesetzt, jeder Beschäftigte verdient künftig mindestens 8,50 Euro pro Stunde", sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut. Der Leiter der Mindestlohn-Studie erwartet, dass der Zuwachs an Kaufkraft nahezu eins zu eins in den Konsum gehen würde. Verdi und NGG, die die Untersuchung in Auftrag gaben, werten das Ergebnis als klares Argument für die sofortige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro. "Wer den ganzen Tag arbeitet, muss mit dem, was er verdient, auch klarkommen können. Das klappt aber nicht, wenn Dumpinglöhne gezahlt werden. Und ein Dumpinglohn ist alles unter 8,50 Euro pro Stunde", sagt Schratz.

Niedriglöhner seien gezwungen, kürzer zu treten und Verzicht zu üben. "Sie können am Leben nicht richtig teilnehmen. Das fängt schon beim Bus- und Bahnticket an", sagt Schratz. Ein Niedriglohn bedeute automatisch "eine Lebensqualität dritter Klasse". Die beiden Gewerkschaften appellieren an Beschäftigte, die in Gladbach zu einem Niedriglohn arbeiten, diesen beim Dumpinglohnmelder (www.dumpinglohnmelder.de) anzuzeigen. Damit soll noch vor der Bundestagswahl eine "Deutschland-Billiglohn-Landkarte" vervollständigt werden.

(RP)
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