Mönchengladbach Jugendliche erinnern an Nazi-Opfer

Mönchengladbach · Wo haben Juden gelebt? Wo sind sie gestorben? Schüler und junge Mitglieder der jüdischen Gemeinde führen am 22. April zu Orten in Rheindahlen, an denen jüdische Mitbürger Spuren hinterlassen haben – zu Stolpersteinen und dem jüdischen Friedhof. Eine Prozession gegen das Vergessen.

Sara und Karoline Hertz wohnten in einem kleinen Häuschen an der Beecker Straße 34 in Rheindahlen. Am Sabbat-Tag baten sie die Kinder aus der Nachbarschaft, kleinere Erledigungen für sie zu machen, etwa den Bollerofen in der Wohnstube zu versorgen. Die Mädchen und Jungen wussten, die beiden Schwestern durften am Samstag nicht arbeiten. Das war eben so bei den Juden, und keiner dachte sich etwas dabei. Die Dienste verrichteten die kleinen Helfer gern, bekamen sie doch als Dank immer ein paar Bonbons zugesteckt. Die Schwestern Hertz, die Geschwister Steinwasser, die Familien Cappel, Grünewald, Spiegel, Strauß, Harf, Moll und Nathan waren alteingesessene Rheindahlener, geachtete und ganz normale Mitglieder der Dorfgemeinschaft. Bis die Nazis sie zur minderwertigen Rasse erklärten, sie erniedrigten und verleumdeten, deportierten und ermordeten. Rheindahlener Jugendliche werden gemeinsam mit jungen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde am 22. April mit einem Stationsweg an die ermordeten Mitbürger erinnern.

Carina Göbels war vor einem Jahr dabei, als eine kleine Gruppe von Menschen zum ersten Mal die Gedenkstätten in Rheindahlen besuchte. „Eine Freundin hatte mir davon erzählt, da wurde ich neugierig“, sagt die 18-jährige Schülerin des Rheindahlener Gymnasiums. Von dem, was sie erlebte, war sie zutiefst berührt, und jetzt gehört sie zum Organisationsteam des Stationsweges um den Leiter des Jugendbüros, Klaus Baakes. „Diese Aktion ist nicht spektakulär, wir gehen einfach zu den Orten, wo Rheindahlener Juden gelebt haben und denken an sie“, sagt der Sozialpädagoge. „Eine Station ist natürlich auch der jüdische Friedhof an der Hardter Straße.“

Auf diesem kleinen, etwas versteckten Flecken Erde stehen und liegen nur noch Reste von alten Grabsteinen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Gedenk- und Familienmonumente entwendet, nur Teilstücke konnten gerettet und an ihren angestammten Platz zurück gebracht werden. An diesem Ort wird ein Mitglied der jüdischen Gemeinde ein Kaddisch, das ist ein Gebet zum Totengedenken, sprechen.

Der Friedhof ist heute das einzige noch sichtbare Zeichen jüdischen Lebens in Rheindahlen. Weitere Zeichen hat erst vor wenigen Monaten der Kölner Künstler Gunter Demnig gesetzt. In die Beecker Straße und in die Fläche vor dem Schuhhaus Heerstraaß am Mühlentorplatz, da wo früher die Villa der Familie Strauß gestanden hat, setzte er Stolpersteine mit den Namenszügen und Daten der ermordeten Rheindahlener Juden. „Der Begriff Stolperstein ist richtig gewählt“, sagt Dennis Harkavenko von der Jüdischen Gemeinde. Der aus der Ukraine stammende Student gehört mit zum Vorbereitungsteam des Stationsweges. „Diese kleinen, in den Boden eingelassenen Gedenksteine sind zutiefst irritierend und berühren jeden, der sie wahrnimmt.“

Vor dem Schuhhaus Heerstraß wird um 19 Uhr der Stationsweg starten. Die acht Stolpersteine im Pflaster des Gehweges erinnern an Johanna, Oskar und Edith Strauß und an Jettchen, Norbert, Laura, Ingeborg und Alfred Spiegel. Sie wurden im April 1942 mit anderen jüdischen Mitbürgern vor der Rheindahlener Kirche zusammengetrieben und in die Konzentrationslager Theresienstadt und Izbica deportiert. Nach Rheindahlen kehrten sie nie zurück.

(RP)
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