Mönchengladbach Jubiläumsziel: Europaschule

Mönchengladbach · Vor 175 Jahren lautete das Ziel, „gebildete Frauenzimmer“ zu unterrichten. In den 50er Jahren konnten Schülerinnen im Hausfrauenzug ihr „Pudding-Abitur“ ablegen. Fremdsprachen zählten allerdings immer schon zum Lehr-Schwerpunkt im Gymnasium an der Gartenstraße.

Zum Jubiläum darf die Geschichte von der geplanten Schulschließung gerne noch einmal erzählt werden. Denn das Gymnasium an der Gartenstraße gibt es ja noch – und zwar seit genau 175 Jahren. Dabei sah es 1833 so aus, als würde das Kapitel der Höheren Töchterschule in Rheydt ein sehr kurzes werden. Denn in jenem Jahr schockten die Mädchen der Schulanstalt ihre Eltern mit folgender Nachricht: „Unsere Schule wird geschlossen.“ Sie war erst vor kurzem gegründet worden, plötzlich aber reichte das Geld zur Finanzierung nicht mehr. Daher glaubte der Gemeinderat, zunächst auf die Bildung der jungen Damen verzichten zu können. Er ließ verlauten, Mädchenbildung sei eine Privatangelegenheit der Eltern. Basta! Doch da hatte der Gemeinderat nicht mit den Erziehungsberechtigten gerechnet. Sie schlossen sich zur Bürgerinitiative zusammen und gründeten die Höhere Mädchenschule. Und so begann für elf Schülerinnen am 10. Juni 1833 der Unterricht.

Die „Höhere Töchterschule“ war damals – wie symbolträchtig im Rathaus Rheydt untergebracht. Unterrichtet wurden die Mädchen vom dem Lehrkörper, der auch den Jungen der Höheren Lehranstalt Wissen vermittelte. Dieser Lehrkörper soll aus gerade einmal einer Person bestanden haben. Wie der einzige Lehrer sein Arbeitspensum bewältigen konnte, darüber rätselt auch Elke Hochheimer, seit 34 Jahren Deutsch- und Englisch-Lehrerin am Gymnasium an der Gartenstraße, die für das Jubiläum die Schulgeschichte durchforstete. „Der Lehrer hatte einen 40-Stunden-Vertrag“, fand sie heraus, „aber trotzdem“.

Der Stundenplan für Jungen und Mädchen unterschied sich zu jener Zeit erheblich. Die Schüler hatten Mathematik, die Schülerinnen Rechnen auf dem „Lectionenplan“ stehen. Jungen lernten Kunst, Mädchen Zeichnen. Immerhin wurden die „gebildeten Frauenzimmer“ auch in Französisch und Englisch unterrichtet. Aber sie gingen nur vier Tage in der Woche zur Schule, während die Jungen nur sonntags schulfrei hatten.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden junge Mädchen in der Schule auf das Leben vorbereitet – Kochen, Nähen und Textilarbeiten zogen auf den Stundenplan. Und selbst in Mathematik zogen hauswirtschaftliche Aspekte ein: „Berechne den Stoffverbrauch für eine Tischdecke. . .“ fing eine Aufgabe an. Auch das hat Elke Hochheimer in den Archiven gefunden. Am „Neusprachlichen Mädchengymnasium“, wie das Oberlyceum in den 50er Jahren umbenannt wird, sind zwei verschiedene Schulabschlüsse möglich: das Abitur mit voller Hochschulreife und der Abschluss einer Frauenoberschule mit naturwissenschaftlich-hauswirtschaftlichem Schwerpunkt. Letzterer Abschluss wurde spöttisch „Pudding-Abitur“ genannt. Heute würde man vom oecotrophologischen Zweig sprechen, sagt Schulleiter Peter Reichartz. Immerhin hätten die Schülerinnen neben Ernährungslehre auch Chemie auf dem Stundenplan gehabt. Auch wenn mancher vielleicht ein bisschen abschätzig auf die Pudding-Abiturientinnen guckte, das Lehrerkollegium wusste sie sehr wohl zu schätzen. „Zu den Abschluss-Aufgaben der Schülerinnen zählte nämlich auch, die Lehrer stilvoll zu bewirten“, sagt Elke Hochheimer.

Vieles hat sich verändert, eins ist geblieben. Die Schule hat schon immer einen großen Wert auf Fremdsprachen gelegt. Schülerin Lina, seit neun Jahren am Gymnasium an der Gartenstraße, gefällt das: „Ich habe mit Latein angefangen, dann den bilingualen Zweig gewählt, und schließlich drei Fremdsprachen gelernt“, sagt sie. Am Gymnasium an der Gartenstraße können die Schüler insgesamt vier Fremdsprachen wählen. Neben dem bilingualen Zug soll es bald auch ein Angebot „Wirtschaft und Englisch“ geben. Und es wird an einer Erweiterung des Konzepts gearbeitet. „Wir wollen Europaschule werden“, sagt Reichartz. Einige Voraussetzungen hat das Gymnasium schon erfüllt, an der Erfüllung weiterer Kriterien wie Schülerpraktika im grenznahen Ausland wird noch gearbeitet.

Auch wenn das Gymnasium an der Gartenstraße „europäisch“ werden will, die Schule selbst ist familiär: Ehemalige schicken ihre Kinder zu ihrer alten „Penne“ oder werden selber Lehrerin an der Schule. Der Schulkiosk, der auch warmes Essen bietet, wird von einem Elternpaar betrieben. Im Förderverein, der dem Gymnasium schon viele Errungenschaften brachte und nun auch bei den Festakten mitwirkt, sind frühere Schüler.

Schulleiter Peter Reichartz, der früher alle fünf bis sieben Jahre die Stelle wechselte und nun schon zwölf Jahre am Gymnasium an der Gartenstraße ist, sagt schlicht: „Hier bin ich angekommen.“

(RP)
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