Interview Jeder spielt mal den König, mal den Diener

Mönchengladbach · Generalintendant Michael Grosse über Vor- und Nachteile von Fusionstheatern, das Ensemble als Identitätsträger und die Gründe, warum er selbst gern auf der Bühne steht. Grosse lobt das "produktive Arbeitsklima" des Gemeinschaftstheaters und das Engagement der 550 Beschäftigten.

 Generalintendant Michael Grosse im RP-Gespräch.

Generalintendant Michael Grosse im RP-Gespräch.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Herr Grosse, Sie müssten ja gerade mit stolz geschwellter Brust durch Mönchengladbach und Krefeld laufen nach dem großen Lob des Steuerzahlerbundes für das Gemeinschaftstheater. Sehen Sie sich in Ihrer Arbeit - Sie sind im fünften Jahr verantwortlich für das Theater - bestätigt?

 Dieses Bild entstand auf der Bühne beim Solo-Heine-Abend "Das Testament".

Dieses Bild entstand auf der Bühne beim Solo-Heine-Abend "Das Testament".

Foto: Ilgner/Stutte

Grosse: Man freut sich immer, wenn gut über das Theater geredet wird. Wir sehen uns in unserem Streben, wirtschaftlich vernünftig zu agieren, bestätigt. Schließlich ist es unser Ziel, optimal mit dem Geld des Steuerzahlers umzugehen. Wir haben aber auch den Luxus einer verlässlichen Finanzplanung bis 2020. Dazu haben uns die von den beiden städtischen Trägern verabschiedeten Konzepte "Theater mit Zukunft I und II" verholfen. Und der Wechsel der Rechtsform in eine GmbH hat uns neue Möglichkeiten des wirtschaftlichen Handelns eröffnet.

Was ist denn durch den Rechtsformwechsel anders geworden?

Grosse: Wenn wir beispielsweise die Eintrittspreise anpassen wollten, musste das früher durch die zuständigen Ausschüsse und den Rat. Heute müssen Änderungen nur die Zustimmung des Aufsichtsrats bekommen, dann können wir sie umsetzen. Es geht einfach schneller. Wir können außerdem in längeren Zeitabschnitten denken. Wenn die Tarifabschlüsse höher ausfallen als erwartet, kann man als Theater nicht direkt reagieren, die Spielpläne und Verträge für die kommende Saison sind dann schon fertig. Wir müssen dann erst einmal Defizite produzieren, wissen aber, dass wir sie in zwei Jahren wieder ausgleichen werden.

Das Gemeinschaftstheater gilt als Erfolgsmodell. Würden Sie es anderen Städten empfehlen? Ist es auch anderswo umsetzbar?

Grosse: Empfehlen würde ich es nicht. Eine Fusion geht immer mit einem spürbaren Identitätsverlust einher, aber auch mit dem Verlust von Stellen. Eine Fusion ist ja keine Addition. Dennoch ist sie in jedem Fall besser, als eine Standortschließung. Ich habe selbst vor zwanzig Jahren die beiden Theater Altenburg und Gera zusammengeführt. Das Landestheater Altenburg ist inzwischen, was die Stellenzahl angeht, komplett abgewickelt. Außerdem muss bei einer Fusion Vertrauen aufgebaut werden. Hier in Mönchengladbach allerdings wurde der große Spar-Joker schon vor 65 Jahren gezogen, da spielt das alles keine große Rolle mehr. Aber natürlich müssen immer beide Städte gleichmäßig berücksichtigt werden.

Das Theater ist in Rheydt angesiedelt, wo gerade die Innenstadt in mehreren Jahren neu gestaltet wurde. Können Sie sich vorstellen, mit dem Theater in die City zu gehen und auf dem Rheydter Marktplatz zu spielen?

Grosse: Vorstellen kann ich mir das durchaus. Aber der "Fluch" des Doppeltheaters ist ja, dass ich das, was ich in A mache, dann auch in B machen muss. Wenn es einen Sponsor für ein solches Event auf dem Marktplatz gäbe, wären wir sicher offen für solche Gedanken. Aber Sponsoren engagieren sich nicht leicht für das Theater, weil es einerseits nur temporäre Werte schafft und andererseits als Aufgabe der öffentlichen Hand gesehen wird. Trotzdem haben wir auch einige treue Sponsoren, die sich langfristig für bestimmte Projekte engagieren.

Im Theater sitzen meist ältere Zuschauer. Wie wollen Sie die jungen Menschen erreichen?

Grosse: Alle stürzen sich immer auf die Altersgruppe der 18- bis 45-Jährigen. Aber die sind schwer zu kriegen, denn in diesem Alter hat man anderes zu tun als ein Abo abzuschließen. Aber wir haben eine Menge niederschwelliger Angebote für die Jüngeren. Das beginnt beim Puppenspiel und dem Weihnachtsmärchen für die Familien. Daran schließt sich nahtlos die Theaterpädagogik an, die mit den Schulen zusammenarbeitet. Die Theater-Jugendclubs entwickeln eigene Stücke und einige der Teilnehmer spielen kleine Rollen auf der großen Bühne. Mit dem AStA-Ticket können jetzt die Studierenden der Hochschule unentgeltlich ins Theater. Das funktioniert. Wenn viele junge Leute kommen, entsteht auch im Publikum eine ganz andere Atmosphäre.

Wie wird das AStA-Ticket denn finanziert? Zahlt das Theater nicht dabei drauf?

Grosse: Nein, der AStA zahlt dem Theater ja eine festgelegte Summe. Das ist für uns nicht uninteressant. Erst wenn mehr als 7000 Studierende im Jahr das Angebot nutzen, wird es für uns wirtschaftlich schwierig. Im letzten Jahr, als das AStA-Ticket eingeführt wurde, kamen sechshundert bis siebenhundert Studierende.

Im Opernbereich engagieren Sie auch immer wieder Gäste. Wird das Ensemble kleiner? Gibt es eine große Fluktuation?

Grosse: Nein, die Größe des Ensembles ist gleich geblieben; wenn auch auf niedrigem Niveau. Die Fluktuation ist eher gering. Das Ensemble ist Identitätsträger, und jeder spielt mal große und mal kleine Rollen, mal den König und mal den Diener. Die Gäste, die engagiert werden, holen wir, weil wir bestimmte Rollen aus dem Ensemble heraus nicht besetzen können, zum Beispiel den Rienzi oder die Marschallin im "Rosenkavalier." Es herrscht generell ein produktives Arbeitsklima. Das Theater besteht ja nicht nur aus dem künstlerischen Ensemble. Es gibt 550 Beschäftigte an zwei Standorten, da muss die Kommunikation stimmen, damit sich alle hinter einem Produkt versammeln können.

Sie stehen oft selbst auf der Bühne, gerade mit einem Heine-Programm. Wie wichtig ist es Ihnen, auch Schauspieler zu sein?

Grosse: Ich mache das gern, man nimmt das Haus als Schauspieler anders wahr als als administrativer Chef. Auch ich werde dann anders wahrgenommen, ich bin dann Kollege unter Kollegen. Auch die Nähe zum Publikum ist mir wichtig. Natürlich ist die Gefahr abzustürzen immens, aber es ist auch sehr nutzbringend, selbst zu spielen. Neben den Solo-Abenden spiele ich auch Nebenrollen, immer dann, wenn die Rolle aus dem Ensemble heraus nicht besetzt werden kann.

Bei Ihrem Soloprogramm bewältigen Sie ungeheure Textmengen. Erklären Sie doch mal jemanden, der schon Schwierigkeiten hat, Vokabeln zu lernen, wie Sie das bei einer so umfangreichen Vorlage an poetischen Texten machen?

Grosse: Jeder Schauspieler hat seine eigene Technik. Am leichtesten lernt man den Text auf der Probe beim Agieren. Ich lerne vor allem über den Sinn und die Assoziation. Wenn man den Text verstanden hat, fällt es leichter, die Formulierungen zu behalten und irgendwann begreift man, warum der Dichter den Text genau so und nicht anders geschrieben hat.

Gibt es ein Stück, von dem Sie träumen? Das Sie unbedingt einmal auf die Bühne bringen möchten?

Grosse: Wir betreiben Theater nicht, um uns unsere Wünsche zu erfüllen, sondern um die Wünsche des Publikums zu erahnen. Wir wählen die Stücke auf Grund unserer Erfahrungen aus. Aber es gibt natürlich auch Stücke, bei denen wir ein Wagnis eingehen. "Verbrennungen" beispielsweise ist ein so geniales Gegenwartsstück, dass wir es unbedingt versuchen wollten. Es hat funktioniert. Auf dieser Erfahrung fußend können wir jetzt "Dogville" von Lars von Trier auf die Bühne bringen. Deshalb sind uns übrigens die Abonnenten so wichtig: Sie vollziehen unseren konzeptionellen Weg mit. Ein Spielplan entsteht ja nicht willkürlich, sondern es gibt Linien und Themen.

Wie wird denn der Spielplan 2015/16 aussehen?

Grosse: Das kann ich noch nicht verraten, obwohl wir inhaltlich schon ziemlich genau wissen, was passieren wird. Das ist das Vorrecht des Aufsichtsrats.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN GABI PETERS, DIRK RICHERDT, ANGELA RIETDORF UND DIETER WEBER

(RP)
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