Jakob Zunz aus Mönchengladbach Der Mann, der die Oper in Sydney errichtete
Mönchngladbach · Die Dachkonstruktion der Oper in Sydney ist weltbekannt. Realisiert hat sie der gebürtige Mönchengladbacher Gerhard Jakob Zunz, der als 13-jähriger vor den Nazis aus seiner Heimatstadt fliehen musste. Jetzt ist er mit 94 Jahren in London gestorben.
Afrika, Australien, Hong Kong, USA, Argentinien, Großbritannien: Gerhard Jakob Zunz, kurz Jack Zunz, prägte mit seinen Gebäuden und Bauten Stadtbilder auf der ganzen Welt. Neben der Oper in Sydney errichtete er zahlreiche von namhaften Architekten entworfene Wahrzeichen und Landmarken, darunter das Centre Pompidou in Paris, das Britannic House in London für BP und gemeinsam mit Lord Norman Foster, mit dem ihn eine besonders herzliche Beziehung verband, den Hauptsitz der HSBC Holding in Hongkong sowie das elegante erste Terminalgebäude für den Londoner Flughafen Stansted. 1989 wurde der Ausnahme-Ingenieur mit Mönchengladbacher Wurzeln von Elisabeth II. zum Ritter geschlagen.
Als Junge musste er einen Weg voller Entbehrungen und Leid gehen. Es war der Weg der von den Nazis verfolgten Juden, die während der Nazi-Diktatur 1933-1945 ihre Heimat und alles, was dazu gehört, aufgeben mussten, um irgendwo anders auf der Welt die Chance zum Überleben aufzugreifen.
Gerhard Jakob Zunz wurde am 25. Dezember 1923 in Mönchengladbach als Sohn jüdischer Eltern geboren. Der Vater, Wilhelm Zunz aus Würzburg, kam 1920 nach Mönchengladbach, seine Schwester hatte hier in die Familie Cohen eingeheiratet. Wilhelm hatte als Kriegsfreiwilliger von 1914 bis 1918 im Ersten Weltkrieg gekämpft. Die Gladbacher Unternehmerfamilie machte ihn zum Teilhaber ihrer Kleiderfabrik Cohen & Schlecht. Wilhelm und seine Frau Helene bekamen zwei Kinder, die 1922 geborene Irmgard, genannt Irmel, und ein Jahr später Gerhard. Die Familie wohnte in der Bismarckstraße 42. Gerhard besuchte ab 1933 das Stiftische-Humanistische Gymnasium. Im selben Jahr kam die Herren-Kleiderfabrik des Vaters, die er nach der Auflösung von Cohen & Schlecht 1928 gegründet hatte, im Rahmen der Nazi-Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte in vehemente Bedrängnis. 1936 musste Wilhelm Zunz den Firmenbetrieb endgültig einstellen. Am 24. September 1936 emigrierte er mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Südafrika, wo die Familie einen Monat später im Hafen von Kapstadt ankam.
Der 13-jährige Gerhard besuchte dort die Athlone High School und schrieb sich 1942 an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg für die Fachrichtung Elektrotechnik ein. 1943 stieß er als Freiwilliger zur südafrikanischen Artillerie und kämpfte in Ägypten und Italien gegen den Faschismus. Dafür erhielt er den päpstlichen Segen von Pius XII. 1946 kehrte er an die Uni in Johannesburg zurück und wechselte zum Studienfach Bauingenieurwesen. Eine zweimonatige praktische Ausbildung auf einem 9.000 Tonnen schweren Schiff mit Kühlanlagen für den Transport von verderblicher Fracht von und nach Argentinien beschreibt er später als „Erfahrung, die ebenso lehrreich wie erstaunlich und unvergesslich war“.
Teamgeist, Offenheit, Bodenständigkeit – es sind die Eigenschaften, die er schon als junger Mann lebte, die Zunz später so erfolgreich machen sollten. 1948 heiratet er Barbara, genannt Babs, schließt sein Studium ab und unterschreibt seinen ersten Arbeitsvertrag bei Alpheus Williams & Dowse, einem südafrikanischen Stahlkonstruktions- und Fertigungsunternehmen, in dem er nach eigener Aussage „viel über Stahlbau“ lernte.
Zunz war ehrgeizig, es zog ihn weiter. Sein berufliches Interesse galt nun Ingenieursbüros in Großbritannien. Er besorgte sich eine alphabetisch angeordnete Liste und bewarb sich gleich beim ersten Namen darauf: A wie Arup. Im August 1950 führte er sein erstes Vorstellungsgespräch mit Ove Arup, dem Ingenieur, Tragwerksplaner, Theoretiker und Gründer des heute in 34 Ländern operierenden Ingenieurbüros Arup. Ove Arup gilt als einer der bedeutendsten Ingenieure des 20. Jahrhunderts. Zunz, der den Rest seiner Karriere bei Arup verbringen soll, beschrieb Ove später als „meinen Boss, Mentor und Freund”, der ihn gelehrt habe, dass im Leben nur eins zählt: „Menschen, Menschen und nochmal Menschen.“ Zunz begann seinen Job bei Arup, kehrte aber kurze Zeit später nach Südafrika zurück, weil es seiner Mutter gesundheitlich schlecht ging. Er blieb zunächst in Johannesburg, gründete dort 1954 gemeinsam mit einem Kollegen die südafrikanische Niederlassung von Ove Arup, kehrte aber 1961 mit seiner Familie zurück nach Großbritannien.
In London landete nur zwei Wochen nach seiner Ankunft der Auftrag auf Jacks Schreibtisch, der seine Existenz umkrempelte: Der Bau der Oper in Sydney. „Von dem Moment an, als ich gebeten wurde, den Job zu übernehmen, veränderte sich mein Leben“, sagte er 2016 in einem Videointerview mit dem Londoner Victoria and Albert Museum im Rahmen einer Ausstellung zu Ove Arup. „Ich bereiste plötzlich die ganze Welt. Und ich sah mich vor Herausforderungen gestellt, denen sich viele Ingenieure nie stellen müssen.“ Vier Jahre zuvor hatte der dänische Architekt Jorn Utzon einen internationalen Wettbewerb für die Gestaltung des Opernhauses in Sydney gewonnen. Sein Beitrag war anhand einiger Skizzen ausgewählt worden, ohne dass dabei die komplizierten technischen Aspekte berücksichtigt worden waren. Utzons Vision des Dachs erinnert an die wogenden Segel eines Schiffes, was in der Umsetzung eine hochkomplexe Anordnung spezieller Schalenformen erforderte. Mehrere Jahre lang testeten Ingenieurteams verschiedene Herangehensweisen zur Umsetzung dieser Schalen und gaben am Ende alle auf. Der Entwurf schien schlichtweg nicht umsetzbar. Die Kosten der ewigen Baustelle explodierten, der Unmut über die ständigen baulichen Verzögerungen stieg in der Bevölkerung und den Medien an.
Utzon trieb die Frage um, wie er seine Vision realisierbar machen könnte. Die Antwort kam schließlich von ihm selbst, als er eine Orange nahm und daraus eine Reihe von Dreiecken mit jeweils einer gekrümmten Seite schnitt. So entstand eine Serie dünner Schalen, die aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt und somit vorgefertigt angeliefert werden konnten. Das war nicht nur clever, sondern auch sehr wirtschaftlich. Zunz begriff als Erster, wie es gehen könnte, und er hatte den Mut, alles bisher Gebaute abzureißen und die Version Utzons komplett neu umzusetzen: Die Schalen wurden aus einer fächerartigen Reihe vorgefertigter Betonbögen aufgebaut. Die Bögen wiederum bestehen aus jeweils mehreren Teilstücken. Jede Schale wurde dabei aus der Oberfläche einer einzelnen Kugel gebildet. „Die Herausforderung war, eine Bauform zu entwerfen, die außergewöhnlich war. Im Vergleich zu heute standen uns IT-seitig Steinzeitwerkzeuge zur Verfügung. Wir mussten immer wieder Ideen entwickeln, Methoden ausprobieren, Systeme auf den Prüfstand stellen. Wir arbeiteten an den Grenzen dessen, was damals im Bauingenieurwesen möglich war”, resumierte Zunz die Bauzeit im Videointerview. Wichtig war ihm immer wieder, die Teamarbeit an diesem gigantischen Bauprojekt hervorzuheben. Junge Bauingenieure, die später Karriere bei Arup machten, förderte er schon beim einzigartigen Dachbau der Oper.
1973 wurde das Opernhaus in Sydney feierlich eröffnet – und für Jack Zunz war das Leben danach „schon irgendwie etwas langweiliger“, wie er später zugab. Ab 1977 war Zunz Co-Vorsitzender von Arup. Er beaufsichtigte die Expansion des Unternehmens in die USA und startete das erste Arup-Graduierten-Programm. Nach dem Tod des Gründers 1988 setzte er die Ove-Arup-Stiftung auf, die Weiterbildungsmöglichkeiten in der Bauindustrie fördert. 1989 zog sich Jack Zunz aus dem Alltagsgeschäft zurück und widmete sich den drei großen privaten Interessen seines Lebens außerhalb der Familie: dem FC Chelsea Football Club, bei dem er über 40 Jahre lang Inhaber von Dauerkarten war. Dem Golfspiel im Coombe Hill Golf Club in Kingston upon Thames vor den Toren Londons. Seine Gottesdienstbesuche in der Wimbledon-Synagoge im Londoner Stadtteil Wandsworth.
Nach seinem Tod würdigte Lord Norman Foster den Mann, den er als „meine Onkelfigur“ bezeichnete, und schrieb im Architect‘s Journal, dass Zunz „eine der ganz seltenen Menschen war, die das Wesen von Technik und Design so perfekt zu kombinieren wussten, dass es ein nahtloses Ganzes ergibt“.
Sir Jack Zunz starb am 11. Dezember 2018. Er wird von seiner Frau Babs, den Kindern Laura und Leslie sowie Enkelkindern und Urenkeln überlebt. Ein Nachruf erschien in den bedeutenden englischsprachigen Zeitungen, darunter der Times, dem Guardian, dem Telegraph.
Die Informationen zu diesem Artikel stammen aus diesen Zeitungen sowie von dem Juristen und Ahnenforscher Michael Bruch, der ebenfalls die Witwatersrand-Universität in Johannesburg absolvierte und Mönchengladbacher Vorfahren in seiner Familiengeschichte hat.