Mutter mied Konflikte in der Beziehung zu Ex-Mann Baby Leo: „Keiner wollte ihn noch mal sehen“

Mönchengladbach/Düsseldorf · Er war am Morgen nach der Tat der ermittelnde Kripo-Beamte: Hauptkommissar Ingo Thiel sagte im aktuellen Verfahren gegen die Mutter des getöteten Kindes vor Gericht aus. Am 1. Juli folgen die Plädoyers.

 Die Mutter von Baby Leo erneut vor Gericht in Düsseldorf neben ihrem Verteidiger Gerd Meister.

Die Mutter von Baby Leo erneut vor Gericht in Düsseldorf neben ihrem Verteidiger Gerd Meister.

Foto: Eva-Maria Geef

„Mein Eindruck war, dass der Junge schnell aus der Wohnung gebracht werden sollte, keiner wollte ihn vorher noch mal sehen.“ So beschreibt am zweiten Tag des Prozesses um den Tod von Baby Leo Ingo Thiel als tatortaufnehmender Beamter die Situation am Morgen nach der Tat. Der 19 Tage alte Säugling wurde in der Nacht zum 21. Oktober 2015 nach einem längeren Martyrium von seinem Vater getötet. Dafür wurde der Mann wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Mutter des Kindes will nichts von den nächtlichen Misshandlungen mitbekommen haben.

Die erste Verurteilung der heute 28-Jährigen wegen „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren wurde vom BGH aufgehoben, ebenso die Verurteilung im zweiten Prozess wegen „Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen“ mit einer Strafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nun soll im dritten Verfahren geprüft werden, ob sich die Frau als (Unterlassungs-)Täterin schuldig oder wegen Beihilfe strafbar gemacht hat. Hauptkommissar Thiel stellte an jenem Morgen neuere und ältere Hämatome im Gesicht, am Rücken und auf der Brust des Kindes fest. Das Baby sei fühlbar kalt gewesen, der Tod müsse Stunden zuvor eingetreten sein.

Laut dem Vater des Kindes habe Leo gegen Mitternacht noch eine Flasche bekommen. Als er um 8.15 Uhr aufgewacht sei, habe er das Baby tot aufgefunden. Konfrontiert mit der Frage, ob nicht jemand etwas bemerkt habe, habe die Mutter erklärt, dass sie sich das nicht erklären könne, da sie sonst bei „jedem Piep“ des Kindes sofort aufwache. Zu den Hämatomen habe sie gesagt, dass sich das Baby häufig kratze. Nachdem der Beamte Zweifel äußerte, habe der Vater erklärt, dass Leo „häufig auf hartem Spielzeug“ liege. Während der ersten Gespräche in der Wohnung habe der Vater ruhig und sachlich geantwortet, die Mutter sei hysterisch gewesen, habe geweint und geschrien.

Nach Thiel sagte eine forensisch-psychiatrische Sachverständige  aus: Bei der Angeklagten liege keine Bewusstseins-, Persönlichkeits- oder krankhafte seelische Störung vor. Sie verfüge über ein ausgeprägtes Harmonie- und Konfliktvermeidungsbestreben, werde von starker Bindungssucht getrieben. Sie habe nur kurz allein, sonst kurz nacheinander in Beziehungen gelebt. Dem Vater von Leo habe sie nie eine „rote Linie“ gezeigt. So sei sein Drogenkonsum ein Streitpunkt gewesen, danach habe er nicht mehr in der Wohnung, sondern bei Freunden konsumiert. Ihren Ex beschreibt sie als kinder- und tierlieb, er könne gut mit Menschen umgehen, sagt aber auch, „rückblickend würde sie ihm alles zutrauen“.

Zu den ersten Misshandlungsspuren an Leo kurz nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus sagte die Angeklagte, sie habe ihrem Mann geglaubt, dass das Baby sich gekratzt habe. Als ihr Mann bei einer Ärztin erklärte, er habe dem Baby zu heiße Milch eingeflößt, sei sie „sauer gewesen“. Sie hätten sich gestritten, weil sich alles nur um das Baby gedreht habe, ihr Mann sei eifersüchtig auf Leo gewesen. Während sie seinen Umgang mit ihm als „grob“ empfand, habe ihr Mann sie als übervorsichtig kritisiert. Die Sachverständige sieht keine Anhaltspunkte, dass die Frau ihren Ex-Mann aktiv in seinem Verhalten unterstützt hat.

Nach kurzer Beratung gibt die Kammer eine Einschätzung: Man habe ein „enges Korsett“ durch den BGH erhalten, erklärt der Vorsitzende Richter Thorsten Kaldenhoff: Es gehe ausschließlich um die Frage, ob die Angeklagte sich durch ihr Unterlassen als „Täterin oder Gehilfin“ schuldig gemacht habe. Der Eindruck sei, dass sie an ihrem Mann hing und den „Weg des geringsten Widerstandes“ gegangen“ sei. Daher werde eine Verurteilung wegen Beihilfe in Erwägung gezogen. Der Prozess wird am 1. Juli mit den Plädoyers fortgesetzt.

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