Mönchengladbach In 150 Jahren vom Filzhut zum Borussia-Ticket

Mönchengladbach · Seit 1864 gibt es den Druck-Spezialisten Gather. Der Wickrather Betrieb setzt auf Individualität - und erfindet sich regelmäßig neu.

Die Druckerei Gather in Gladbach: Ein Blick zurück
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Die Druckerei Gather in Gladbach: Ein Blick zurück

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Angefangen hat alles mit einer Zeitungsannonce. Am 11. Mai 1864 suchte Martin Gather in der Gladbacher Zeitung nach einem "ordentlichen gesitteten Knaben", der in seiner Buchbinderei eine Lehrlingsstelle antreten würde. Die hatte Gather zusammen mit seinem Bruder Heinrich eine Woche vorher gegründet. Heute, genau 150 Jahre später, gibt es das Unternehmen immer noch, doch eine Buchbinderei ist es längst nicht mehr. "Mit jeder Generation hat sich der Betrieb neu erfunden", sagt der aktuelle Geschäftsführer Helmut Gather über den Pioniergeist seiner Vorgänger bis hin zu seinem Ur-Ur-Urgroßvater Martin. Heute produziert Gather Formulare die Borussia-Tickets mit den Heiß-Präge-Rauten ebenso wie Anästhesieprotokolle, 43 Millionen Versicherungskarten im Jahr, Blankoformulare und selbstklebende Etiketten. Und noch viel mehr, über das Helmut Gather nicht reden darf, für Auftraggeber aus aller Welt: "Wir könnten sogar Geld drucken. Dürfen wir aber leider nicht."

Der Firmensitz am Hocksteiner Weg wirkt auf den ersten Blick erstaunlich analog für ein Unternehmen, das mittlerweile längst den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft hat. Das liegt am spleenigen Chef, der Traktoren zu seinen größten Hobbys zählt, und der mehr als nur familiären Atmosphäre in der 20-köpfigen Belegschaft. Individualität wird großgeschrieben - und quasi auf jede Maschine gedruckt, die jeweils eigene Namen tragen. Da gibt es die Ingrid, den Florian, aber auch Kanaan den Dritten. Das mag skurril, fast putzig anmuten, hat aber einen Hintergrund: "Hier gibt es im Prinzip nur eine normale Maschine. Alle anderen sind für unsere Zwecke umgebaut." Die Koppelstücke tüftelt sich Gather selbst zusammen. Zurechtgefrickelt, umgemodelt, passend gemacht - alles getreu dem Gather-Motto "Wir müssen das tun, was der Computer nicht kann." Dementsprechend finden sich 48 Patente und Gebrauchsmuster in Gathers Annalen, etliche Preise wurden eingeheimst. 2004 beispielsweise der Innovationspreis der Deutschen Druckindustrie.

Permanente Wandelbarkeit und eine immense Anpassungsfähigkeit an neue Entwicklungen bewiesen schon die frühen Gathers. Der erste Umschwung war der von der Buchbinderei zur Musterkarten-Fabrik - im Kielwasser der aufblühenden Textilindustrie. "Die Betriebe brauchten Musterkartenbücher, und es gab keine vernünftigen", sagt Helmut Gather. Zunächst stellte der Betrieb Geschäftsbücher her, wurde dann zur Farbdruckerei umgewandelt. Im Krieg zog das Unternehmen, damals an der Lüpertzender Straße angesiedelt, vier mal um und wurde ausgebombt. 1945 begann der Betrieb aufs Neue - zunächst provisorisch im Keller von Schorch, das zugleich zum ersten großen Neu-Kunden wurde, später an der Hofstraße. Der letzte Schrei waren damals Endlosformulare. Rudolf und sein Bruder Erwin Gather tüftelten und werkelten, setzten auf die Belieferung der aufkommenden Elektronenrechner und bauten den Endlosbereich aus, hauptsächlich in Form von Blanko-Tabellierpapiere. 1964 war Gather zu einer weltweit führenden Endlosdruckerei avanciert, bereits mit eigener EDV-Abteilung.

Der heute 63-jährige Helmut Gather sollte 1980 in den Betrieb eintreten - "aber vorher wurde ich vom Familienrat zehn Jahre fortgeschickt, um andere Unternehmen kennenzulernen". Das tat er - in Schweden, der Schweiz, Kanada, für eine Unternehmensberatung führte er die Freiburger Energie- und Wasserwerke zusammen. Währenddessen arbeiten für das Unternehmen seines Vaters in Gladbach, Hamburg, Berlin, München und Essen insgesamt 600 Leute. Ende 1979, nach Jahren stetigen Wachstums, erfolgte der Verkauf an das amerikanische Unternehmen NCR. Helmut Gather blieb noch knapp drei Jahre dabei, verließ die Gather Formularsysteme GmbH jedoch 1983 wegen der "nicht familiären amerikanischen Führung" und macht sich stattdessen mit dem Angebot einer farbigen Korrektur selbstständig.

Auch das neue Unternehmen startete schnell durch. Speziell Endlos-Sonderformate wurden in der Anfangszeit nachgefragt. 1988 erfolgte der Umzug in den Neubau nach Wickrath, und mit dem Aufkommen von PCs und Internet überschlugen sich die Neuentwicklungen: intermittierende Verleimung für Endlosformate. Integrierte RFID-Karten. Endlos-Heiß- und Blindprägung. Zuletzt 2013 "Prefinished Papers" - eine internetbasierte Einkaufsmöglichkeit für standardisierte, vorgefertigte Papierbögen in kleinsten Auflagen zum nachträglichen Selberbedrucken. Die mit der Zeit aus der Mode gekommenen, teils aber noch genutzten Maschinen hat Gather allesamt im Keller des Betriebs gesammelt, in einer Art Privat-Museum: Ein Rollenschneider von 1951, mit dem noch immer Silikonpapiere geschnitten werden, steht da neben einer alten Nut- und Perforiermaschine, es gibt ein antik anmutendes Regal mit Holzbuchstaben, alte Loch-stanzer, und, und, und.

"Heute können wir dank der Elektronik sinnvoll und effektiv und ohne Gesundheitsgefährdung mit einer Person Arbeiten verrichten, für die früher zehn oder mehr Personen arbeiten mussten", erläutert Gather. Beim Endlosdruck schaffe eine gut organisierte moderne Maschine die Arbeit von 15 Maschinen im Jahr 1950. Doch auch die Verlagerung auf mehrere Standbeine ist ein Teil des Erfolgskonzepts. Das Unternehmen ist Post-Konsolidierer - das bezeichnet das Abholen, Vorsortieren und Einliefern von Sendungen vor der eigentlichen Beförderung durch die Post. Gather macht Mailings für Firmen und Vereine, produziert hochwertige Kleinverpackungen und verfügt über eine weitgehend automatische Fertigung für Facharbeiten, Seminarunterlagen oder Abizeitungen.

Und geht das alles den Weg alles Irdischen, wenn das Unikat Helmut Gather aus dem operativen Geschäft ausscheidet? Auf die Idee, Werbevideos für die Prefinished Papers nicht nur in x Sprachen, sondern auch auf Bayrisch, Schwäbisch und Jlabbacher Platt bei Youtube hochzuladen, muss man nämlich erst einmal kommen. Doch wenn es nach dem 63-Jährigen geht, wird auch künftig Gather drin sein, wo Gather drauf steht - dann soll das Unternehmen auf die Generation seiner Töchter übergehen.

Und die Chancen stehen gut, dass die dann wieder mit Pioniergeist und Innovationsfreude an die Aufgabe gehen und etwas ganz Neues aus der Firma machen. Denn auch Martin Gather, der den Grundstein für das heutige Unternehmen legte, war nicht als Buchbinder auf die Welt gekommen. "Seine Vorfahren waren Hutmacher in Rheydt", sagt sein Ur-Ur-Urenkel und grinst. "Wir haben es also in 150 Jahren vom Filz zum integrierten Etikett geschafft."

(RP)
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