Serie Was Macht Eigentlich? Immer noch zu wenig Zeit für den Ruhestand

Mönchengladbach · Dem Stadtrat hat Hans-Joachim Schoor 1995 ade gesagt, nach 26 Jahren politischer Arbeit. Inzwischen ist er 72, aber noch immer sehr aktiv. Als ehrgeiziger Architekt und Projektentwickler, Chorsänger, Wanderer und Langstrecken-Pilger, Skifahrer, Hobbykoch.

 Waldspaziergang der Familie Schoor beim Kampf gegen die geplante Autobahntrasse A 44: Hans-Joachim Schoor mit Tochter Marion, Frau Bärbel sowie den Söhnen Chris und Peer

Waldspaziergang der Familie Schoor beim Kampf gegen die geplante Autobahntrasse A 44: Hans-Joachim Schoor mit Tochter Marion, Frau Bärbel sowie den Söhnen Chris und Peer

Foto: Dieter Wiechmann

Wenn nicht ein Handwerker am 10. Juni 1964 bei Arbeiten im Dachstuhl der Kaiser-Friedrich-Halle in seiner Frühstückspause eine Zigarettenkippe achtlos weggeworfen hätte – Hans-Joachim Schoor wäre wahrscheinlich nie nach Mönchengladbach gekommen. Denn dann wäre Gladbachs gute Stube nicht fast komplett ausgebrannt und hätte nicht Architekt Willy Decker 1967 einen jungen Mann aus Aachen als Bauleiter für den Wiederaufbau nach Gladbach geholt – Hans-Joachim Schoor. Aus dem geplanten 18-Monats-Job des jungen Architekten und Bauingenieurs in der Vitusstadt ist nun fast schon ein halbes Jahrhundert geworden.

Schoor, in Trier geboren und in Burgbrohl im Landkreis Ahrweiler aufgewachsen, ist in Mönchengladbach "hängen" geblieben. Und er hat hier seine Spuren hinterlassen und setzt sie immer noch. Vor zwei Jahren war es das "Reitbahn-Karree" an der Lehwaldstraße mit 28 Häusern und 30 Wohnungen, das Schoor mit seinem Architekturbüro von A bis Z geplant und entwickelt hat – ein Vorzeigeprojekt auch mit seiner Energieversorgung durch Erdwärme. Im Moment läuft das Planverfahren für ein zweites Projekt dieser Art ganz in der Nähe auf dem Gelände der ehemaligen Druckerei Kloke. Auch das von ihm vor fünf Jahren angestoßene Projekt Bleichwiese hat er noch nicht aufgegeben. Doch es ist weniger sein eigentlicher Beruf, der ihn in der Stadt bekannt gemacht hat. Hans-Joachim Schoor hat ein Vierteljahrhundert kommunalpolitische Arbeit geleistet. An vorderster Stelle der FDP-Fraktion, deren Vorsitzender er von 1975 bis 1994 war – mit einer zweijährigen Unterbrechung. "Die zu plötzliche politische Wende in Bonn zur Koalition mit der CDU hat mir damals nicht gepasst", erklärt Schoor seinen Rücktritt als Fraktionschef – allerdings nicht aus der Fraktion. "Aber die Entwicklung hat gezeigt, dass unser Bundesparteivorsitzender Hans-Dietrich Genscher mit seiner Linie recht hatte", gibt Schoor zu. Und so ließ er sich auch 1985 wieder an die Spitze der Mönchengladbacher FDP-Fraktion wählen und blieb neun weitere Jahre Vorsitzender.

Es war seine Familie aus Unternehmern und selbstständigen Handwerkern, die Hans-Joachim Schoor Einsatz für andere vorgelebt hat: "Mein Großvater war Bürgermeister in Burgbrohl, wo wir aufgewachsen sind. Auch mein Vater war politisch engagiert." Der Sohn trat, kaum dass er sich 1968 als Architekt selbstständig gemacht hatte, in den Kreisverband Rheydt der FDP ein. "Man kann nicht nur immer auf die da oben und das, was sie machen, schimpfen. Ich wollte mitgestalten", erklärt er seinen Start in die Kommunalpolitik. Ein Jahr später wurde er in den Jugendhilfeausschuss des Stadtrates berufen, 1973 kam er als Nachrücker für den verstorbenen Ratsherrn Erwin Stock ins Rheydter Stadtparlament.

Nicht alles, was beschlossen wurde, hat Hans-Joachim Schoor gefallen. "Und ich habe es, wenn nötig, auch deutlich angesprochen", sagt er. Ob nun die politische Wende in Bonn oder die Tatsache, dass die Stadt Mönchengladbach das neue Rathaus in der Oberstadt an der Ecke Sandrad- und Aachener Straße von einem Investor erstellen ließ und dann von ihm leaste. "Das war viel zu teuer", sagt er. "Da hätte die Stadt zehn Millionen sparen können, wenn sie selbst gebaut hätte." Dass im Zuge der kommunalen Neugliederung 1974/75 mit dem Zusammenschluss von Alt-Gladbach, Rheydt und Wickrath gleich zehn Stadtbezirke geschaffen wurden und für jeden schnell etwas gebaut wurde wie Bäder oder Sporthallen "waren zum Teil Geschenke, deren Folgekosten die Stadt bis heute belasten". Schoor selbst startete 1975 zwar gleich als FDP-Fraktionsvorsitzender in den neuen Stadtrat, doch die kleine FDP hatte dies nicht verhindern können.

"Als ich in die Kommunalpolitik einstieg, habe ich geglaubt, es seien Sachargumente, die zählen. Im Lauf der Zeit habe ich aber gemerkt, dass das eben nicht im Vordergrund steht, sondern die Verbindungen und das persönliche Beziehungsgeflecht", sagte Schoor, als er 1995 aufhörte. "Es geht dabei zu oft nicht um das Wohl der Stadt oder der Allgemeinheit. Vor allem die Partei ist wichtig und zum großen Teil auch Rechthaberei und persönliche Eitelkeiten", meint er auch heute. Sein Rücktritt 1995, vor Ende der Legislaturperiode, kam allerdings nicht aus Verärgerung: "Irgendwann muss es mal genug sein. Mit Bernd Kuckels, der mein Nachfolger als Fraktionsvorsitzender wurde, und mit Anno Jansen-Winkeln, der in den Stadtrat nachrückte, hatten wir in der FDP ja fähige Leute, die bis heute aktiv sind." Und dann gab es seine Familie als Argument für den Rückzug: "Mein Sohn hatte mal gesagt, ich kümmere mich mehr um andere als um meine Frau und die Kinder. Das sollte besser werden", hat er sich vorgenommen.

Der Politik hat Hans-Joachim Schoor so ade gesagt. Den "Rückfall" mal ausgeschlossen, als er 1998 anstelle des ehemaligen Bundesbildungsministers Karl-Hans Laermann in Mönchengladbach für den Bundestag kandidierte. Das Risiko gewählt zu werden, war ja praktisch nicht vorhanden. "Aber immerhin haben wir 8,4 Prozent der Zweitstimmen geholt", sag Schoor nicht ohne Stolz. Direkt gewählt wurde übrigens Hildegard Wester von der SPD – ein politischer Erdrutsch für die bis dahin zuverlässig CDU wählende Stadt.

Aber auch ohne politische Ämter bleibt Hans-Joachim Schoor noch mehr als genug zu tun. Sein Restaurant Weinkirch mit dem nebenan liegenden Hotel Rheydter Residenz laufen mittlerweile, ohne dass er sich noch im Tagesgeschäft engagieren müsste. Doch da ist ja vor allem das Architekturbüro, in dem aber Sohn Chris (der seinen Vater rügte, er kümmere sich zu wenig um die Familie) inzwischen kräftig mitarbeitet und auch die Tochter Marion. "Früher habe ich 14, 15 Stunden am Tag gearbeitet. Heute sind es noch elf. Und ich möchte mal auf sechs bis sieben Stunden kommen", sagt Schoor. Und setzt schnell hinzu: "In ein paar Jahren."

Dann bliebe ja wirklich mehr Zeit für seine nicht wenigen Hobbys. "Fußball und Schwimmen gehörten früher zu meinem Leben. Tennis habe ich auch, aber nicht so lange und intensiv gespielt." Heute wandert er ausgiebig. Und mit seinen 72 Jahren ist er immer noch begeisterter Skifahrer: "Alpin, Langlauf ist ein bisschen langweilig." Und dann gibt es noch die Hobbys Kochen und Singen – siehe unten.

(RP)
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