Polit-Promis in Mönchengladbach Im Eiltempo von links nach rechts

Mönchengladbach · Wahlkampf pur: Innerhalb von nur drei Stunden weilte gestern das Spitzenpersonal von Linken, FDP und CDU in der Stadt. Ramelow, Brüderle, Lindner, Röttgen und Merkel waren beim Kurztrip durch die Parteienlandschaft zu sehen.

Polit-Promis in Mönchengladbach
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Sahra Wagenknecht zieht eine Augenbraue hoch. Was es denn über den Zustand der Linken aussagt, wenn beim Metaller-Warnstreik in Rheydt am Dienstag zwei unmotiviert wirkende Mitarbeiter mit roter Fahne nicht etwa den Demonstrationszug säumen, sondern erst zur Abschlusskundgebung aufkreuzen — und dann auch noch keiner ihre Flyer haben will? Das Gesicht der Vize-Parteichefin, die im St. Vith am Alten Markt an einem Mineralwasser nippt, wirkt aus der Nähe weit weniger steinern-starr als im Fernsehen. In den braunen Augen blitzen Schalk und Wärme, Grübchen rahmen die Mundwinkel, deuten Süffisanz an. Ob es die Linken noch braucht? "Es ist unser Dilemma, dass gerade die, denen es am dreckigsten geht, die für Hungerlöhne malochen oder von Hartz IV leben müssen, vom ganzen Politikbetrieb oft so angewidert sind, dass sie gar nicht mehr wählen gehen", sagt Sahra Wagenknecht.

Oder besser: hätte sie gesagt. Vermutlich. Also, sie hat es sogar gesagt, allerdings der "Zeit", und das auch schon im April. Gestern sagte sie gar nichts, zumindest nicht in Gladbach, weil sie ihre Wahlkampf-Unterstützung für die Landtagskandidaten Mario Bocks und Rohat Yildirim kurzfristig absagte. Und damit auch das Gespräch im Vith. Sie nahm stattdessen eine Einladung zu "Anne Will" wahr — und die Linken fuhren an ihrer Statt den früheren Fraktionsvize Bodo Ramelow auf dem Kapuzinerplatz auf. Am ehrgeizigen zeitlichen Gerüst des gestrigen Abends änderte das allerdings nichts. Denn das ging so: 17 Uhr Linke, 18 Uhr FDP, 19 Uhr CDU. Ein Parforceritt einmal quer von links nach rechts durch die Parteienlandschaft in drei Stunden. Oder: RamelowstattWagenknechtLindnerBrüderleRöttgenMerkel.

17 Uhr, Kapuzinerplatz Bodo Ramelow steht noch im Stau. Mario Bocks überbrückt die Zeit, indem er darüber schimpft, "dass das Geld der Armen den Reichen in den Hindukusch gestopft wird". Das etwa 100-köpfige Publikum wirkt lethargisch, auch als deutschsprachiger Reggae erklingt. "Die Partei", eine einst von Satire-Redakteuren gegründete Gruppierung, ist auch da und trinkt Starkbier. Zwei ihrer Leute überkleben ein FDP-Plakat, wollen aber, sollte das Foto veröffentlicht werden, bitte unkenntlich gemacht werden. Der Grüne Landtagskandidat Dr. Boris Wolkowski verfolgt das Treiben auf dem Platz mit Humor: "Ach, das ist gar nicht die SPD? Ich wunderte mich schon, dass die so über Hannelore Kraft herziehen." Aber nein, auf der Suche nach einem Koalitionspartner sei er nicht, den hätten die Grünen schon. Um 17.35 Uhr biegt ein Oberklassewagen mit Erfurter Kennzeichen um die Ecke. Niedrigerer Glamourfaktor als Sahra, aber ein sympathischer Bursche, der Ramelow. Am Abend zuvor wurde er per Twitter gefragt, ob er einspringen könne, sagte sofort zu. Um 6 Uhr früh hat er sich aufgemacht. "Ich hatte bei Sahra noch einen gut. Sie war mal für mich bei einer Fernsehsendung eingesprungen." Sagt's und stapft auf die Bühne.

18 Uhr, Comet-Cine-Center Statt Reggae gibt es schmusige Saxofonklänge, statt Starkbier Latte macchiato — zumindest wirkt das Publikum, als goutierte es diesen deutlich mehr. Es ist frappierend jung, hat eine Vorliebe für Schals oder Halstücher und wird hinterher als Sahnehäubchen "Ziemlich beste Freunde" gezeigt bekommen, denn die FDP hat schließlich ins Kino eingeladen. Ein Mann hat einen gelb-blauen Spaten mitgebracht, sagt aber nicht warum. Christian Lindner macht einen auf Ramelow und steht im Stau, was Rainer Brüderle als Steilvorlage nutzt: "Im Stau stehen — das ist für mich Freiheitsberaubung", sagt der Fraktionsvorsitzende und fordert Investitionen in Verkehrswege. Sein Mikrofon knarzt, doch der 66-Jährige erweist sich als begnadeter Redner: Er spricht frei, spielt dabei mit der Lautstärke, spinnt feine rhetorische Fäden und erarbeitet sich seinen Applaus nahezu spielerisch. Er bezirzt das Publikum, sät die Saat. "Guter Cop, böser Cop" scheint das Prinzip zu lauten — als Lindner schließlich eintrifft, ist es ihm ein Leichtes, auf Attacke zu schalten und die Ernte einzufahren.

19 Uhr, Rheydter Markt Angela Merkel sieht nach Regen aus. Ihre Mundwinkel zumindest. Skeptisch lässt die Kanzlerin den Blick über den prall gefüllten Platz gleiten; Bundestagsabgeordneter Dr. Günter Krings entlockt ihr mit einer Fußball-Analogie immerhin ein Lächeln ("Welche Stadt wäre besser für eine Aufholjagd besser geeignet als Mönchengladbach?"). Und als Norbert Röttgen hölzern-jungenhaft ans Mikrofon tritt, beginnt es erst zu nieseln, dann zu schütten, Röttgen-Poster halten kurzerhand als Regenschutz her. Immerhin: Noch während der Rede spannt sich ein Regenbogen über den Himmel — schön symbolträchtig und so. "Die Partei" überklebt Plakate, trinkt Starkbier und skandiert Parolen, Letzteres begleitet durch die NRW-Jusos, die "die Mutti sehen" wollen. Die Gruppe Campact hält Plakate pro Vermögenssteuer hoch, ein Salafist will der Kanzlerin einen Koran andrehen: "Frau Merkel, ich habe ein Buch für Sie." Dazwischen mischen sich Tröten, Trillerpfeifen, Sprechchöre. Nach einigen irritierten Blicken zwischen Merkel, Generalsekretär Hermann Gröhe und Röttgen entscheidet man sich, die Störenfriede gewinnbringend in die Reden einzubauen. "Die Mitbürger sind nicht durch Geschrei zu beeindrucken", ruft Merkel (über der plötzlich wieder die Sonne scheint), und erntet dafür mächtig Applaus. Zum Schluss gibt's die Nationalhymne, der Platz singt.

Und wen wählt man jetzt, nach drei Stunden Links-Mitte-rechts-Koalition? Das bleibt Wahlgeheimnis. Heute kommt jedenfalls erst mal noch Cem Özdemir zu Besuch.

(RP)
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