Mönchengladbach Im Altersanzug durch den Verkehr

Mönchengladbach · In 60 Sekunden 80 Jahre alt: Studenten der Hochschule Niederrhein haben einen Alterssimulationsanzug entworfen. Die Polizei will ihn für die Präventionsarbeit nutzen: Junge Autofahrer sollen so lernen, mit welchen Problemen ältere Menschen im Straßenverkehr zu kämpfen haben.

 Carlos Pohle bei seiner Probefahrt im "Alternator": Der Anzug simuliert durch versteifte Gelenke und Gewichte am Ober- und Unterteil, wie anstrengend Autofahren für einen älteren Menschen sein kann.

Carlos Pohle bei seiner Probefahrt im "Alternator": Der Anzug simuliert durch versteifte Gelenke und Gewichte am Ober- und Unterteil, wie anstrengend Autofahren für einen älteren Menschen sein kann.

Foto: Isa Raupold

Wie in Zeitlupe tappert Carlos Pohle zu seinem Auto. Die Beine sind schwer, zittrig fingert er das Schloss auf, lässt sich in den Autositz fallen und atmet durch. Als er vom Parkplatz auf die Dahlener Straße abfährt, kann er die enge Kurve nur langsam und mit Mühe nehmen: Seine Arme sind in den Gelenken schon so steif, dass schnelles Lenken unmöglich ist.

So widrig muss Autofahren für manch alten Menschen sein, der im Straßenverkehr unterwegs ist. Und so soll es sich für den eigentlich topfitten Fahranfänger Carlos auch anfühlen: Er trägt den "Alternator", einen Alterssimulationsanzug, den Studenten der Hochschule Niederrhein für die Abteilung Unfallprävention der Polizei Mönchengladbach entworfen haben. Gestern stellten die angehenden Textilingenieure ihr Projekt in der Fahrschule Road Runner in Schrievers vor.

16 Kilo Gewichte eingenäht

Polizeihauptkommissar Erwin Hanschmann und seine Kollegen wollen die schwere Montur einsetzen, um jüngeren Menschen zu zeigen, wie anstrengend das Autofahren im Alter ist. "Die Zahl der Unfälle mit Senioren im Straßenverkehr ist sehr hoch — ob als Fußgänger, Auto- oder Fahrradfahrer, sagt der Polizist. Ältere Menschen reagierten nicht nur langsamer, auch die Bewegung und ihr Blickfeld sei eingeschränkt.

Um das zu simulieren, haben sich die neun Studenten von den Mitarbeitern eines Sanitätshauses beraten lassen, das auch einige der Materialien für den Anzug stellte. Jacke und Hose erinnern an die Uniformen von Sondereinsatzkommandos: Im kompakten Oberteil sind elf Kilo Gewichte eingenäht, die den Körper nach unten ziehen, in der Hose weitere fünf Kilo. Harte Schoner an den Ellbogen und Bandagen an den Kniegelenken lassen wenig Spielraum für Bewegung: Wer so ins Auto einsteigt, muss die Beine mit Mühe und Kraft hineinziehen. Granulat in den Schuhsohlen simuliert einen unsicheren Gang, eine Halskrause macht den Schulterblick beim Autofahren unmöglich. Auch eine Brille, die das Sichtfeld einschränkt, und Kopfhörer gehören zur Ausstattung. Fahrlehrer Michael Reiners kennt die Sprüche, die fallen, wenn einige seiner Fahrschüler auf ältere Autofahrer treffen: "Mach doch mal da vorn, ich fahr dich gleich um! — sowas kommt da. Wenn man selbst mal in so einem Anzug steckt, weiß man, warum der ältere Herr ein bisschen mehr Zeit beim Einsteigen braucht", sagt er.

Anzüge, die das Alter simulieren, gibt es viele. Der Prototyp, den die Studenten in drei Monaten entwarfen, hat einen Vorteil: "Er ist schnell an- und ausgezogen und durch das Klettband größenverstellbar", sagt Studentin Kristina Lynders. So kann ihn die Polizei für Schulungen einsetzen, ohne dass sich die Testpersonen stundenlang anziehen, und dann mühsam wieder aus der Montur herausschälen müssen. Bei Busfahrern hätte man den Anzug schon getestet, sagt Hauptkommissar Hanschmann.

Zurück von der Probefahrt war Carlos Pohle sichtlich erschöpft. "Das ist verflucht anstrengend. Mit diesen Handschuhen kann man das Lenkrad nicht richtig greifen", sagte er. Bis er im Straßenverkehr mit solchen oder ähnlichen Problemen zu tun hat, ist es allerdings noch eine Weile hin: Erst wenige Stunden zuvor hatte er seine Führerscheinprüfung bestanden.

(RP)
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