Mönchengladbach Idylle im Nirgendwo

Mönchengladbach · Wo der Bäcker zweimal hinfährt: Die 70 Bewohner der Honschaft Sittardheide leben mitten im Grünen und haben ihr eigenes großes Biotop. Und wer den gemeinschaftlichen Maibaum klaut, muss Gerstensaft spendieren.

Sittardheide So gut wie jeder Dorfbewohner konnte einer der Täter sein. Einer derjenigen, die in der Dunkelheit zum Kapellenplatz geschlichen waren und den Maibaum geraubt hatten. Doch lange blieben die Entführer nicht unerkannt - schließlich gab es knapp 70 Hauptverdächtige, die es zu überprüfen galt. Mehr Einwohner hat das Örtchen in Rheindahlen nämlich nicht. "Hier stehen 25 Häuser, in denen derzeit 67 Leute wohnen", sagt Karl-Heinz Lingen, der 1968 nach Sittardheide einheiratete.

Er weiß, welche Strafe die drei Maibaumräuber einst zu verbüßen hatten: Sie mussten der Dorfgemeinschaft drei Kästen Bier spendieren. "Wir setzen den Baum immer am Vorabend des ersten Mai", erzählt der 65-Jährige. Das geschmückte Astwerk steht dann gleich neben der Kapelle St. Josef, die in Sittardheide eine besonders wichtige Rolle spielt: "Sie ist unser Dorfmittelpunkt", sagt Karl-Heinz Lingen.

1861 sei das Gotteshaus erbaut worden, "1980 und 1981 haben die Dorfbewohner es dann restauriert, weil es marode war." Die einzige Alternative dazu sei gewesen, es abzureißen. Gemeinsam mit Schriefers und Schriefersmühle hat Sittardheide eine Kapellengemeinschaft, bis heute wird die kleine Andachtsstätte genutzt — so feiern die Dörfler dort zum Beispiel vor dem Maibaumsetzen eine Messe. Einmal im Jahr organisieren außerdem einige Anwohner vor der Kapelle ein großes Fest. "Hier gibt es noch eine Gemeinschaft. Jeder kennt jeden", sind sich Karl-Heinz Lingen und sein Nachbar von gegenüber, Josef Baltes, einig.

"Es ist aber nicht mehr so wie früher, als wir uns noch auf dem Bordstein getroffen und unterhalten haben", sagt Baltes. Sittardheide sei ein Dorf, in dem die Bewohner morgens zur Arbeit führen und abends wiederkämen. "Jeder hat sich hier sein Grundstück schön gemacht", erzählt Karl-Heinz Lingen. Neu zu bauen oder große Änderungen an den Häusern vorzunehmen sei aber so gut wie unmöglich, denn Sittardheide liege größtenteils in einem Landschaftsschutzgebiet. "So idyllisch wir auch wohnen — sonst gibt es hier natürlich nix", sagt Lingen und lacht.

Immerhin: Zweimal pro Woche kommt ein Bäcker in den Ort. Ganz so ruhig ist es auf der Straße dann doch nicht, "viele Autofahrer nutzen sie als Abkürzung zwischen Wickrath und der B 57", erzählt der 65-Jährige. Dabei sei das eigentlich gar nicht erlaubt. Die Ortsfremden durchqueren dann verbotenerweise ein Dorf, in dem jeweils nur eine Straßenseite bebaut ist. Die Hausnummern sind bunt durcheinandergewürfelt — so liegen zum Beispiel hinter der Nummer 18 die Nummern 9 a und 9 b. Die Gebäude stehen recht nah beieinander, nur eins ist ausgebüxt: "In Richtung Genholland ist noch ein einzelnes Haus, das auch zu Sittardheide gehört", sagt Josef Baltes. "Dabei ist das sehr weit von uns weg", berichtet der 73-Jährige.

Dennoch haben sich dessen Bewohner am Dorfleben beteiligt, so wie auch Josef Baltes und Karl-Heinz Lingen. Beide waren vor der Rente bei der Gladbacher Berufsfeuerwehr, wegen eines Brandes mussten sie nie nach Sittardheide ausrücken. "Aber Wasser haben wir hier schon gepumpt", sagen sie. Einige Male hatte das Dorf in der Vergangenheit mit Hochwasser zu kämpfen, "das stand bei mir bis zur Terrassentür", erinnert sich Karl-Heinz Lingen. Dann legte der Schwalm-Verband in den 90er Jahren ein Biotop an, seitdem hat sich die Lage entschärft.

(RP)
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