Interview Thorsten Gerald Schneiders Ich halte Lau und Vogel für gefährlich

Mönchengladbach · Der Islamwissenschaftler Thorsten G. Schneiders aus Duisburg hat ein Buch über den Salafismus in Deutschland verfasst. Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht er über die Salafistenszene in Mönchengladbach - und fordert mehr Präventionsarbeit als bisher.

 Thorsten Gerald Schneiders (1975 in Duisburg geboren) arbeitet beim Deutschlandfunk.

Thorsten Gerald Schneiders (1975 in Duisburg geboren) arbeitet beim Deutschlandfunk.

Foto: Isabella Raupold

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über den Salafismus in Deutschland zu schreiben?

Thorsten G. Schneiders Als mir klar wurde, dass sich der Salafismus in Deutschland rasant ausbreiten und zum dauerhaften Problem werden würde, war für mich als Islamwissenschaftler der Zeitpunkt gekommen, ein Buch darüber zu machen. Das habe ich bewusst auf eine breite fachliche Basis gestellt - es finden sich fachliche Texte darin, aber auch Erfahrungsberichte von Menschen, die unmittelbar mit Salafisten zu tun hatten oder sogar selbst Teil der Szene waren.

Wie entstand denn dann die Verbindung nach Mönchengladbach?

Schneiders An Mönchengladbach kommt man nicht vorbei, wenn man über den Salafismus in Deutschland schreibt. Denn hier fand im Grunde eine der ersten massiven Konfrontationen zwischen der Bevölkerung und den Salafisten statt.

Für unsere Redaktion wurde Ende 2010/Anfang 2011 eine Sicherheitsfirma engagiert, einige Kollegen erhielten Morddrohungen aus der Salafistenszene. Über all das schreibt meine Kollegin Gabi Peters in einem Kapitel Ihres Buches. Wie ist der Kontakt zu ihr entstanden?

Schneiders Es war mein Wunsch, dem Leser auch Quellenmaterial zur Verfügung zu stellen. Ich wollte jemanden finden, der Opfer der Salafisten war, und schildert, was in so einem Fall passieren kann.

Ein Vorwurf der Salafisten gegenüber uns Journalisten war, dass wir Hetze betreiben würden. Empfinden Sie die Berichterstattung in Deutschland auch so?

Schneiders Einer Gruppe, die selber im Internet gegen andere hetzt und sie als minderwertige Menschen darstellt, nehme ich solche Klagen erst einmal nicht ab. Das ist doch absurd. Es gehört allerdings zum Mechanismus der salafistischen Bewegung, sich als Opfer darzustellen. So gelingt es ihnen auch, neue Anhänger zu rekrutieren, die sich ebenfalls als Opfer fühlen.

Fakten zum Salafismus in Deutschland
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Foto: afp, FETHI BELAID

Bewegungen wie "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) und "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) richten sich nun gegen die Salafisten.

Schneiders Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas entstehen würde. An der Stelle, an der die Salafisten in die Öffentlichkeit drängen, fördern sie automatisch extremistische Gegenreaktionen. Und beide Bewegungen befruchten sich nun gegenseitig. Die Salafisten sehen in den Demonstrationen einen weiteren Beweis für den Islamhass in Deutschland. Das werden sie für ihre Hetze nutzen. Und je mehr sie das tun, desto mehr fühlen sich Pegida und Hogesa in ihrem Handeln bestätigt. Diese Spirale muss unbedingt gestoppt werden, denn die Menschen werden dazwischen aufgerieben.

Die wichtigsten Figuren im Zusammenhang mit Mönchengladbach sind Pierre Vogel und Sven Lau. Wie schätzen Sie die beiden ein? Wie gefährlich sind die beiden?

Schneiders Ich halte sie für gefährlich. Beide rufen zwar nicht öffentlich zu Gewalttaten auf, aber sie holen Leute in die Szene hinein. Gerade Pierre Vogel spricht mit seiner kumpelhaften Art junge Leute an. Sobald sie dann in der Szene sind, hat Vogel nicht mehr unter Kontrolle, in welche Richtung sie sich entwickeln - ob sie beispielsweise Kontakt zu dschihadistischen Salafisten aufnehmen.

Und Sven Lau?

Schneiders Laut dem Porträt von ihm in meinem Buch ist er eher ein ruhiger Typ, ein Mitläufer, für den Pierre Vogel ein Idol ist. Im Gegensatz zu Vogel, der innerhalb kurzer Zeit sowohl Arabisch gelernt als auch sich in die islamische Theologie eingearbeitet hat, ist Sven Lau eher ein einfacher Mensch.

In Ihrem Buch berichtet eine Aussteigerin darüber, wie die Salafisten das soziale Netzwerk Facebook für Ihre Zwecke nutzen. Wie nützlich ist das Internet für die Salafisten?

Schneiders Es erleichtert ihnen definitiv die Propaganda. Während Dschihadisten früher Klinken putzen mussten, um ihre Missionsarbeit zu machen, stellen sie heute Videos ins Netz, die sich in Sekundenschnelle weltweit verbreiten. Die Terrorgruppe IS hat das perfektioniert. Es gibt extra Medienzentren, die nichts anderes tun, als die Botschaft der Bewegung zu verbreiten.

Das Kapitel der Aussteigerin in Ihrem Buch lässt den Leser entsetzt zurück. Man fragt sich: Wie kommt eine junge Frau dazu, sich einer Bewegung anzuschließen, in der sie Burka tragen muss und unterdrückt wird?

Schneiders Für uns scheint das tatsächlich unverständlich. Die betroffenen Frauen sehen das aber anders: Sie schließen sich einer Bewegung an, die ihnen Schutz und Anerkennung verspricht. Die Rolle als Mutter und Ehefrau ist bei den Salafisten hoch angesehen. Der Preis dafür ist die Verschleierung, und den sind diese Frauen bereit zu zahlen. Die Aussteigerin in meinem Buch hatte Schwierigkeiten innerhalb ihrer Familie. Sie wünschte sich mehr Respekt und den bekam sie von den Salafisten.

Gibt es eigentlich verschiedene Strömungen innerhalb der Salafistenszene? Oft hat man das Gefühl, dass sich die Salafisten untereinander nicht ganz grün sind.

Schneiders Man muss drei Gruppen unterscheiden, die sich untereinander streiten und sich gegenseitig den Glauben absprechen. Es gibt die sogenannten puristischen Salafisten, die ihre Religionsauffassung zwar am strengsten ausleben, das aber in ihren eigenen vier Wänden tun. Dann gibt es die politischen Salafisten, die in die Gesellschaft reinwirken wollen wie Pierre Vogel. Denn man muss sich klar machen: Auch Muslime konvertieren zum Salafismus. Die dritte Strömung sind die dschihadistischen Salafisten, die aktiv zum Kampf aufrufen.

Was können der Staat und die Gesellschaft gegen den Salafismus unternehmen?

Schneiders Der Staat hat den klaren Auftrag, sich um die Gefährder zu kümmern. Und das funktioniert ja auch. Immerhin hat es noch keinen geglückten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden gegeben; nimmt man mal einen Einzeltäter am Frankfurter Flughafen aus. Der Kampf um die Köpfe ist aber auch enorm wichtig. Es muss mehr Präventionsarbeit geleistet werden, damit Menschen gar nicht erst in diese Szene geraten. Und da sind auch Politik, Gesellschaft, die christlichen Kirchen und natürlich die muslimischen Gemeinden gefragt. Bei denen ist die Radikalisierung in den eigenen Reihen aber bisher zumindest weitgehend ausgeblendet worden.

Und was halten Sie von einem Burka-Verbot?

Schneiders Aktuell ist das purer Populismus. Es gibt ja kaum welche. Und wenn man die Burka verbietet, sind die Menschen trotzdem noch da. Außerdem kommen solche Töne meist aus konservativen oder islamkritischen Kreisen, so dass manche schnell Islamfeindlichkeit wittern, was wiederum den Salafisten in die Hände spielt.

Wie finanzieren sich die Salafisten denn überhaupt? Nur durch Spenden von Privatleuten oder glauben Sie, dass auch Staaten dahinterstecken?

Schneiders Die Salafisten brauchen nicht viel Geld. Das macht die Szene noch leichter zugänglich, denn finanzielle Hürden für einen Beitritt sind niedrig. Vieles kommt über Spenden. Für die Koranverteilaktionen gab es wohl Geld aus dem Ausland. Das muss aber nicht heißen, dass Staaten dahinter stecken. Es leben einfach sehr viele sehr reiche Leute im arabischen Raum.

Was wäre denn passiert, wenn hier tatsächlich die Islamschule gebaut worden wäre? Wäre Gladbach dann zur Hochburg des Salafismus geworden?

Schneiders Das ist schwer zu sagen. Die Islamschule war vorher in Braunschweig, und dort ist auch keine Hochburg entstanden. Es ist aber schon davon auszugehen, dass die Salafisten viele ihrer Aktivitäten nach Mönchengladbach verlagert hätten.

Welche Erkenntnisse haben Sie denn über die aktuelle Salafistenszene in unserer Stadt?

Schneiders Die kann ich natürlich nur aus der Ferne beurteilen. Es scheint aber so, dass sie den Standort weitgehend aufgegeben haben. Aber natürlich leben weiterhin Anhänger und Sympathisanten in Mönchengladbach.

LAURA SCHAMEITAT FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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