Mönchengladbach „Ich habe nichts gegen Chinesen“

Mönchengladbach · Nach seiner Rede sprach der Dalai Lama auf der Bühne mit dem ZDF-Journalisten Steffen Seibert.

Sie haben Ihre Heimat fast 50 Jahre nicht betreten können. Was schmerzt am meisten, wenn Sie an Tibet denken?

Dalai Lama Das ist richtig, fast ein halbes Jahrhundert. Ich sage im Scherz: Ich bin wie ein Zigeuner, der immer hin und her reist. Ich muss mir die Frage stellen, wie ich ein sinnvolles Leben führen kann und wie ich mich einsetzen kann und in den Dienst stellen kann für andere Menschen. In Freiheit im Exil habe ich viel Gelegenheit dazu. Einerseits bin ich traurig, dass ich meine Heimat verlassen habe, andererseits habe ich neue Gelegenheiten.

Als Sie im März von den Unruhen in Tibet erfuhren, was war Ihre erste Reaktion?

Dalai Lama Wir waren alle überrascht und schockiert, als wir von den Ereignissen erfuhren. Ich hatte das gleiche Gefühl wie 1959: Ängste, Hilflosigkeit, die Befürchtung, wie es weitergehen wird. Was können wir tun? Man muss das in einer längeren Periode sehen, zwei bis drei Generationen: Es gab starke Unruhen in den 50ern. Dann wurde ein Aufruhr 1987/88 blutig niedergeschlagen. Und nun die Ereignisse im März. So lange sich die Lebensumstände nicht ändern, werden sich solche Ereignisse alle paar Jahre wiederholen. Das ist meine persönliche Empfindung.

Sie sind ein strikter Pazifist. Aber es gab auch tibetische Gewalt gegen Chinesen. Gefährdet das die moralische Überlegenheit?

Dalai Lama Es gibt verschiedene Versionen darüber, was sich genau zugetragen hat. Deshalb ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft hingeht und sich ein Bild machen kann. China lässt keine freie Berichterstattung zu. Es wird der Eindruck erweckt, Tibeter seien Anti-Chinesen, und das ist schade. Ich bin Buddhist, und viele Chinesen auch. Das sind sie schon viel länger als Tibeter. Ich habe großen Respekt vor dieser Tradition. Ich habe nichts gegen Chinesen. Dass dieser Eindruck entsteht, macht mir Sorgen. Beim Erdbeben in Sezuan haben Menschen große Verluste erlitten. Eltern haben aufgrund der Ein-Kind-Regel ihr einziges Kind verloren. Ich empfinde stark mit ihnen.

Was kann denn erreicht werden in den Gesprächen mit der chinesischen Führung?

Dalai Lama Das Ziel ist nicht die Loslösung von China, sondern Autonomie. Das Recht auf Autonomie steht in der chinesischen Verfassung, das Gesetz wird aber leider zurzeit nicht angewandt. Ich bin zuversichtlich, dass für beide Seiten eine akzeptable Lösung gefunden werden kann. Ich begrüße es, dass Hu Jintao deutlich gemacht hat, wie wichtig der öffentliche Dialog ist. Wie er ausgeht, ist ungewiss. Zwischen uns geht es mir um echte Freundschaft. Ein tibetisches Sprichwort sagt: Wenn du einen echten Freund hast, dann musst du Fehler ansprechen und beheben können. Auf diesen Weg muss sich China begeben, wenn es den Anspruch hat, Weltmacht zu sein.

(RP)
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