Interview mit Gülistan Yüksel (SPD) Ich bin Expertin für Solidarität
Mönchengladbach · Die Mönchengladbacher SPD-Kandidatin für die Bundestagswahl erklärt, warum sie sich für Mindestlohn einsetzt, warum Peer Steinbrück streng guckt, warum sie ungeschminkt bleibt und wer sich besonders über das "Rheer Mädsche" freut.
Was bekommen die Wähler, wenn sie Gülistan Yüksel wählen?
Gülistan Yüksel Eine Frau, die sich für sie einsetzt, die sich für sie interessiert. Die den Menschen als Ganzes sieht, nicht über die Köpfe der Menschen hinwegredet. Eine Frau, die ihre Erfahrungen aus 20 Jahren politischer Arbeit gerne einbringen möchte, damit es den Menschen in Deutschland besser geht.
Warum sind Sie, als Sie mit politischer Arbeit angefangen haben, in der SPD gelandet?
Yüksel Ich hatte nie darüber nachgedacht, tatsächlich Politikerin zu werden. Ich habe für den Ausländerbeirat kandidiert, weil mein Mann mich eigentlich überredet hat. Ich wusste nicht, was mich erwartet, fand es aber spannend. Nachdem ich dann bei der Wahl so erfolgreich war, sind die Parteien auf mich aufmerksam geworden. Ich hatte mich für Parteipolitik nie interessiert. Wenn man selbst nicht wählen darf, ist das nicht so interessant. Ich habe mir dann die Ideen angehört und mit einigen Parteien geredet. Meine Entscheidung war dann klar: Die SPD passte am besten zu dem, was wir zu Hause immer gelebt haben.
Welche Bedeutung hatte es für Sie, deutsche Staatsbürgerin zu werden?
Yüksel Für mich hat es eine große Bedeutung. Wir leben hier. Das ist unsere Heimat, also wollen wir auch mit allen Rechten und Pflichten dazugehören. Ich lebe seit 43 Jahren in Mönchengladbach, bin ein "Rheer Mädsche". Als ich das bei einer Veranstaltung der SPD AG 60 plus sagte, waren sie ganz gerührt. Aber es stimmt. So fühle ich das. Ich lebe gerne hier. Mein Mann und ich, wir werden hier alt werden.
Wie sehr stört es Sie, wenn viele in Ihnen vor allem die Migrantin sehen?
Yüksel Ich bin mal bei einer Podiumsdiskussion aus der Haut gefahren, habe gesagt: Muss ich mir die Haare blond färben, um Deutsche zu sein? Aber das ist lange her. Wenn ich heute in der Stadt unterwegs bin, erfahre ich viel Zustimmung, viel Respekt für meinen Weg. Jeder ist irgendwann und irgendwo ein Fremder. Dass für uns die Fremde Heimat geworden ist, das freut die meisten Menschen ehrlich.
Und jetzt werden Sie Berlinerin.
Yüksel Nein, ich bleibe natürlich Mönchengladbacherin. Mein Arbeitsplatz wird bald wahrscheinlich in Berlin sein. Aber das ist nichts Ungewöhnliches, dass man zu seiner Arbeit ein Stück fahren muss. Ich brauche eine Stunde — mit dem Flieger.
Wie sicher sind Sie, dass Sie Bundestagsabgeordnete werden?
Yüksel Es gibt keine Sicherheit, aber ich bin sehr optimistisch. Die Chancen sind sehr gut und die Stimmung super.
Ihr Listenplatz ist hervorragend. Glauben Sie selbst, dass Sie den Direktwahlkreis gewinnen können?
Yüksel Ich habe so viele nette Menschen und Ecken von Mönchengladbach kennenlernen und sehen dürfen. Nichts ist unmöglich. Ich kenne die Umfragewerte. Und ich weiß, dass Dr. Krings den Wahlkreis dreimal gewonnen hat, zuletzt mit 18 Prozent Vorsprung. Aber ich erlebe im Gespräch mit den Menschen etwas ganz anderes. Dazu sind die letzten Landtags- und Kommunalwahlen für die SPD sehr erfolgreich gewesen. Wie gesagt die Stimmung ist sehr positiv. Und mir sagen viele Anhänger anderer Parteien: Meine Erststimme bekommen Sie.
Mögen Sie Ihre Plakate?
Yüksel Jetzt ja. Die wollten meine Naturlocken stärker aufdrehen und mich stärker schminken. Für mich war es sehr ungewohnt. Das habe ich nicht mitgemacht. Ich will ich selbst bleiben.
Sie sind eine Frau des Ausgleichs. Finden Sie es richtig, dass die Bundespartei Angela Merkel auf Plakaten so stark attackiert?
Yüksel Noch bin ich zu weit weg, um das beurteilen zu können. Ich denke aber, dass es gerechtfertigt ist. Sie macht und sagt zu vielen Themen wie beispielsweise dem Abhörskandal nichts. So wird es wenigstens sichtbar.
Mit einem Mann, den viele ungeschickt und wenig sympathisch finden?
Yüksel Steinbrück ist genau der Mann, den Deutschland jetzt braucht. Einer, der in der Krise Klartext redet. Tatsächlich guckt er oft streng. Aber die Lage ist halt auch ernst. Und ich habe ihn jetzt öfter in kleinem Kreis erlebt. Da ist er sehr locker und absolut sympathisch.
Sie sagen, die Lage ist ernst. Geht es den Deutschen nicht viel besser als den meisten europäischen Nachbarn?
Yüksel Vielen Deutschen geht es schlechter als vor einigen Jahren, ihr Einkommen reicht kaum, um die Familie zu ernähren. Sie können es sich nicht leisten, ihre Kinder studieren zu lassen oder Angehörige ordentlich zu pflegen.
Das gilt auch für Taxifahrer
Yüksel Auf jeden Fall.
Was wünschen sich Ihre angestellten Taxifahrer von der Politikerin Yüksel?
Yüksel Vor allem, dass ich mich für den Mindestlohn einsetze. Und das werde ich auch. Es kann nicht sein, dass jemand acht Stunden fährt und am Ende nur 40 Euro verdient hat. Und andererseits weiß ich, wie schwer es für einen Unternehmer ist, wenn er nicht viel Umsatz macht. Ich kenne und verstehe beide Seiten. So geht es aber vielen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Deshalb muss Politik eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden
Nützt der Abhörskandal der SPD?
Yüksel Der nützt überhaupt niemandem. Das ist doch eine schreckliche Vorstellung, dass jemand all meine SMS und Mails liest. Unsere Grundrechte werden tief verletzt, und die Bundeskanzlerin trifft bis heute keine Aussage hierzu. Ich bin keine Expertin, aber Wahltaktik hin oder her, Frau Merkel ist uns eine Antwort schuldig.
Und wofür sind Sie Expertin?
Yüksel Für Gerechtigkeit und Solidarität. Wir brauchen flexible Arbeitsplätze, ausreichende Kinderbetreuung und die bestmögliche Bildung für unsere Kinder. Und wir dürfen die ältere Generation nicht vergessen, die unser Fundament ist. Ein Haus baut man auch von unten nach oben, und fängt nicht mit dem Dach an. Menschen, die gearbeitet haben, dürfen im Alter nicht in die Armut rutschen. Darum setze ich mich für die Solidarrente ein.
Sie sind keine Berufspolitikerin. Werden Sie sich coachen lassen?
Yüksel Ich habe das früher schon einmal überlegt, weil ich bei Reden immer schrecklich aufgeregt bin. Da wäre es eine Hilfe, ein paar Tipps zu haben. Es hat zeitlich nicht gepasst, aber ich wollte es mir eigentlich auch nicht abtrainieren lassen. Denn so bin ich nun einmal.
Und was ist, wenn es wider Erwarten doch nicht klappt mit dem Mandat?
Yüksel Dann geht die Welt nicht unter. Ich werde auch nach dem 22. September mit unseren Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt stehen, Politik machen und mich weiterhin für die Menschen in unserer Stadt einsetzen.
RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND JAN SCHNETTLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.