Mönchengladbach Harlekinade und Operettenseligkeit

Mönchengladbach · Ein reizvoller Ballettdoppelabend mit Livemusik der Niederrheinischen Sinfoniker ist Robert North mit "Petruschka / Offenbach" gelungen. Besonders der zweite Teil mit Paolo Franco in der Titelrolle begeistert das Premierenpublikum.

Im direkten Duell mit Jacques Offenbach hat es Igor Strawinsky nicht leicht. Zumal der Meister der Operette mit dem Dirigierstab gegen den russischen Ballett-Erneuer antritt, der lediglich einen Pinsel in der Hand hält, den er zuvor Pablo Picasso entwendet hat. Und auch beim Programmrahmen des getanzten Doppelabends aus Strawinskys Power-Ballettmärchen "Petruschka" und der folgenden Offenbachiade auf der Bühne fährt der musikalische Illustrator des Pariser Lebens zumindest einen Punktgewinn gegenüber dem Russen ein.

Robert North hat nach fast 20 Jahren seine einst für Bordeaux ersonnene, bunte Einrichtung der russischen Harlekinade um drei zum Leben erweckte Puppen aufgefrischt und nun eindrucksvoll auf der Bühne des Theaters Mönchengladbach umgesetzt. Das aus quaderförmigen, den Kubismus vorausahnenden Blöcken gestaltete, variable Bühnenbild (Andrew Storer) rahmt das phantastische, leicht morbid-gruselige Geschehen in nüchtern- neusachlicher Manier ein. Jorge Yen ist der geheimnisvolle Puppenspieler und Scharlatan, der mit Doppelmaske als alter Mann und als Tod gekennzeichnet ist. Aber er verwandelt sich immer wieder auch in einen breit grinsenden Gameshow-Master, der seine "Geschöpfe" belustigt verfolgt. Denen ist es allerdings sehr ernst mit ihrer Liebesmühe und ihrer Rivalität: Petruschka (Alessandro Borghesani) und der windige, schneidige Geheimagent (Raphael Peter) umtanzen werbend dieselbe Frau: Elisa Rossignoli bringt in ihrer kernig-erdhaften Darstellung eine deftig-humoristische Komponente in ihren Tanz als Ballerina ein. Am Ende zündet der Impresario die Bombe des Agenten. Kollateralschaden.

Alexander Steinitz lässt Strawinskys rhythmisch hochkomplexe, expressive Musik von den Niederrheinischen Sinfonikern ungeschminkt aufspielen: mit schrillen Dissonanzen der gestopften Trompeten und Marktschreier mimenden Celli. Vielleicht liegt's doch an der nach 100 Jahren immer noch als schräg empfundenen Musik, dass der Schlussapplaus verhalten ausfiel.

Das ändert sich nach der Pause bei "Offenbach", einem bunten Kaleidoskop wundersamer Verbindungen zwischen der Pariser Belle époque mit Jacques Offenbach und dem künstlerischen Neuaufbruch in der Metropole nach dem Ersten Weltkrieg. Hier gibt es immer wieder Szenenapplaus. Es begegnen Humor, Eleganz, süffige Klänge und eine tänzerische Fabulierkunst, die einfach mitreißend ist! Schon der Offenbach-Darsteller Paolo Franco zieht alle Register und persifliert den Begründer der Operette ganz köstlich. Atemberaubend Karine Andrei-Sutter als "Seele von Paris", die den verstorbenen Künstler aus der Unterwelt abholt und per Zeitsprung in den Strudel der Avantgarde 40 Jahre später verfrachtet. Ein grandioses Potpourri aus Offenbach-Melodien, die von strawinsky'schen Ruppigkeiten zwischendurch nicht weiter beeinträchtigt werden. "Orpheus in der Unterwelt" steuert hierzu den größten Anteil am musikalischen Feuerwerk bei.

(RP)
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