Interview: Mit Dirk Rheydt Gladbacher haben das Radfahren verlernt

Mönchengladbach · Dirk Rheydt, zweiter Vorsitzender des ADFC in Mönchengladbach, über die Qualität der Radwege und die Vorteile des E-Bikes.

 Dirk Rheydt versucht, so viele Wege wie möglich mit dem Fahrrad zurückzulegen. "Die Radfahrer werden selbstbewusster", sagt er. Rheydt hofft, dass in Zukunft wieder mehr Mönchengladbacher aufs Rad steigen werden.

Dirk Rheydt versucht, so viele Wege wie möglich mit dem Fahrrad zurückzulegen. "Die Radfahrer werden selbstbewusster", sagt er. Rheydt hofft, dass in Zukunft wieder mehr Mönchengladbacher aufs Rad steigen werden.

Foto: Detlef Ilgner

Das Mönchengladbacher Radwegenetz ist berühmt-berüchtigt. Wenn Sie den Radwegen in der Stadt eine Schulnote geben müssten, welche wäre dies? Und warum?

Dirk Rheydt Ich würde die Radwege mit Ausreichend benoten. Viele sind nicht so schlecht, wie es allgemein heißt. Ich versuche, alle Wege in der Stadt mit dem Rad zurückzulegen, und habe so einen ganz guten Überblick. Dort, wo der Radweg auf der Straße verläuft, ist er meist auch gut. Allerdings weiß ich natürlich, dass sich viele schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kinder oder ältere Menschen auf der Straße unwohl und unsicher fühlen, obwohl Untersuchungen belegen, dass das Radfahren auf der Straße eher sicherer ist.

Wir hatten als Schulnote eher ein Mangelhaft erwartet. Es gibt viele schlechte Radwege. Paradebeispiel ist der Radweg auf der Hohenzollernstraße.

Rheydt Ja, viele sind wirklich schlecht. Wurzeln sind ein Problem auf der Hohenzollernstraße genauso wie auf der Gartenstraße. Hier würde ich dafür plädieren, die Benutzungspflicht aufzuheben, damit die Radfahrer auf der Straße fahren können. Dadurch gewinnen auch die Fußgänger Platz, denn die Gehwege sind eigentlich zu schmal. Ich mache es an solchen Stellen so wie viele engagierte Radfahrer und fahre auf der Straße. Wer da ein Knöllchen kriegt, klagt dagegen. Mönchengladbach sollte überlegen, die innerörtliche Benutzungspflicht von Radwegen aufzuheben. In Herford hat man das getan und gute Erfahrungen gemacht. Es reicht, einen Angebotsstreifen auf der Straße einzuzeichnen und es freizustellen, ob die vorhandenen Radwege benutzt werden.

Was hat die Stadt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Bezug auf ein besseres Radwegenetz versäumt?

Rheydt Man hat einen weltweiten Trend verpasst: In den Großstädten wird wieder Fahrrad gefahren. In Mönchengladbach hat man zu spät die Probleme erkannt, die durch den Autoverkehr entstehen, und jetzt ist man gezwungen, auf EU-Vorgaben und Bürgerproteste zu reagieren statt zu agieren. Die Straßen wurden für Autofahrer konzipiert, und man kann sich auch am besten mit dem Auto bewegen. Das Radfahren haben die Gladbacher deshalb seit Generationen verlernt. Die Eltern fahren nicht mit dem Rad und sie haben Angst, ihre Kinder radfahren zu lassen. Aber diese Entwicklung kippt gerade. Die Radfahrer werden selbstbewusster und machen mehr auf sich aufmerksam.

Sie meinen die Radfahrer-Lobby, die sich in den letzten zwei Jahren gebildet hat und an Bedeutung gewinnt. Glauben Sie, dass das zu einem Umdenken beitragen wird?

Rheydt Das Thema Radfahren rückt dadurch stärker in die öffentliche Wahrnehmung. Es laufen viele Aktionen, und die Medien berichten darüber. Dadurch ändert sich die Haltung zum Radfahren. Jeder Radfahrer löst bei den anderen Verkehrsteilnehmern den Impuls aus, auch mal wieder aufs Rad zu steigen. Deswegen ist das Rundradeln, das Norbert Krause während der "200-Tage-Fahrrad-Stadt"-Aktion durchgeführt hat, ein so wichtiges Instrument. Es macht die Radfahrer sichtbar. Wir als ADFC haben das aufgegriffen und bieten jetzt auch einmal pro Monat das Rundradeln an. Dann fahren wir als geschlossener Verband durch die Stadt, bei besonderen Anlässen auch im Nikolaus- oder Karnevalskostüm. Beim nächsten Mal steigen wir im Businesslook aufs Rad, um dafür zu werben, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.

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Was ist Ihre Erfahrung? Unterstützen viele Arbeitgeber es, wenn ihre Angestellten mit dem Rad zur Arbeit kommen?

Rheydt Das ist noch sehr unterschiedlich. Es wäre sehr sinnvoll, wenn ein Arbeitgeber wie beispielsweise die Stadt mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder schaffen, Dienstfahrräder oder auch geleaste E-Bikes anbieten würde. Die Arbeitgeber profitieren ja auch davon, wenn die Arbeitnehmer gesünder bleiben und weniger ausfallen. Es gibt inzwischen die Möglichkeit für Firmen, E-Bikes für ihre Mitarbeiter zu leasen. Das ist ein sehr interessantes Angebot.

Welche Bedeutung haben die Räder mit Elektro-Antrieb? Werden sie eine Verkehrswende herbeiführen?

Rheydt Die E-Bikes sind eine geniale Erfindung. Der Motor bietet Tretunterstützung, man bewegt sich leicht fort und kommt nicht nassgeschwitzt an. In den Niederlanden ist bereits jedes zweite verkaufte Rad ein E-Bike. Leider sind sie sehr teuer, deshalb sind die Leasingangebote für Firmen so interessant. In Mönchengladbach werden sie kurzfristig auch keine Verkehrswende herbeiführen, dafür haben wir nicht die Sozialstruktur.

Es gibt eine neue politische Mehrheit, in der durchaus Sympathie für die Fahrradfahrer-Szene herrscht. Gehen Sie davon aus, dass planungs- und baupolitisch in dieser Hinsicht etwas geschieht?

Rheydt Wir arbeiten jetzt schon eng mit den Stadtplanern zusammen und sind auch in den Bezirksvertretungen dabei, um uns einzubringen. Von Seiten der Stadtplaner habe ich den Eindruck, dass sie durchaus dankbar für Anregungen sind. Aber es gibt Maßnahmen, die beschlossen sind und sehr zögerlich umgesetzt werden. Ein Beispiel sind die Bettelampeln (Ampeln, die nur auf Knopfdruck reagieren, Anm. d. Red.), die eigentlich nach und nach verschwinden sollen. Hier tut sich anscheinend gar nichts, obwohl es ein Budget dafür gibt.

Gibt es ein Leuchtturm-Projekt, das Gladbach schnell umsetzen könnte?

Rheydt Sobald die Hindenburgstraße neu asphaltiert ist, sollte sie für Radfahrer freigegeben werden, mit der Auflage, im Schritttempo zu fahren. Dann würden sich Busse, Radfahrer und Fußgänger den Raum teilen.

Kann Mönchengladbach wirklich eine Radfahrerstadt werden? Vielleicht nicht gleich wie die Hochburg Münster, aber zum Beispiel wie Kempen?

Rheydt Von Münster ist Mönchengladbach natürlich weit entfernt, aber das muss auch nicht unser Anspruch sein. Realistisch gesehen brauchen wir ein Radwegenetz mit ordentlichen Radwegen und abgebauten Hindernissen. Viele Mönchengladbacher kennen ihre Stadt nicht und fahren als Radfahrer die gleichen Wege, die sie als Autofahrer benutzen. Dabei gibt es bessere Alternativen. Zum Beispiel muss kein Radfahrer auf der Gartenstraße fahren, weil die parallel verlaufende Brucknerallee ein viel angenehmeres Fahren ermöglicht. Hier muss Transparenz geschaffen werden. Als ADFC haben wir mit dem Knotenpunktenetz, das wir in den letzten Monaten erstellt haben, gute Vorarbeit geleistet. An diesem Netz kann sich ein Radfahrer orientieren. Wir werden unsere Ergebnisse im September dem Oberbürgermeister übergeben. Dieses Knotenpunktenetz existiert bereits um Gladbach herum zum Beispiel in Heinsberg oder Neuss. Es ist ein wunderbares System, man kommt sehr einfach von A nach B. Ich hoffe sehr, dass es umgesetzt wird.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN DIETER WEBER, ANGELA RIETDORF UND KLAS LIBUDA.

(arie)
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