Mönchengladbach Gladbacher Anwalt verteidigt im Piratenprozess

Mönchengladbach · Mandanten wachsen Strafverteidigern nicht ans Herz. Normalerweise. Doch normal war an diesem Prozess kaum etwas: 105 Tage und 23 Monate verhandelte ein Hamburger Gericht gegen zehn somalische Piraten, die vor zwei Jahren am Ostermontag östlich des Horns von Afrika ein deutsches Containerschiff überfielen.

Den jüngsten Angeklagten — laut eines speziellen Gutachtens zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt — verteidigte der Mönchengladbacher Anwalt Rainer Pohlen. Sein Mandant, Abdiwali, befindet sich inzwischen auf freiem Fuß. Die verhängte Strafe verbüßte er während seiner zweijährigen Untersuchungshaft. Abdiwali ist nun in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht, lernt Deutsch und will seinen Schulabschluss machen. Doch abgeschlossen wird der Fall für Pohlen noch lange nicht sein. Nicht nur, weil er gerade Revision eingelegt hat.

"Der Junge ist mir richtig ans Herz gewachsen", sagt der Verteidiger offen. "Sein Schicksal ist einfach unglaublich." Dann berichtet der Anwalt von "großen Kulleraugen", von der Furcht des Somaliers, dass die deutsche Justiz ihn zum Tode verurteilen würde, von den katastrophalen Zuständen in der Heimat der Angeklagten. Auch von einer Rundfahrt durch Hamburg erzählt Pohlen. "Für Abdiwali war es unglaublich, dass Einkaufspassagen nicht durch Bewaffnete bewacht werden. Er konnte sein Gleichgewicht auf Rolltreppen nicht halten." Noch nie habe er einen Mandanten betreut, der so schutzlos gewesen sei. "Stellen Sie sich vor, Sie würden in einer futuristischen Gesellschaft bei Aliens landen. Einen anderen Vergleich gibt es nicht."

Abendfüllend kann Pohlen Kritik an dem Prozess üben. Verfassungsgrundsätze seien mit Füßen getreten worden, wie etwa das Grundrecht, spätestens am Tag nach der Festnahme einem Richter vorgeführt zu werden. Die lange Untersuchungshaft bewertet der Rechtsanwalt als rechtswidrig, der im Jugendstrafrecht herrschende Erziehungsgedanke sei in vielen Punkten massiv verletzt worden. Siebeneinhalb bis zehn Millionen Euro, so schätzt der Verteidiger, wird das Verfahren den Steuerzahler kosten. "Stattdessen hätten Tausende somalische Familien ernährt werden können." Doch nach kurzem Schweigen sagt Pohlen: "Es ist sehr einfach, die Legitimation eines solchen Verfahrens in Zweifel zu ziehen, doch fast unmöglich, Alternativen zu nennen. Auch ich habe noch keine gefunden." Alle Verfahrensbeteiligten seien während des Prozesses an die Grenzen ihrer Erkenntnis gestoßen.

"Bruder und Vater" nennt Abdiwali seinen Gladbacher Anwalt in einem Interview. "Ich habe ihm versprochen, mich auch weiterhin um ihn zu kümmern", sagt der Strafverteidiger. Noch vergangene Woche war er wieder in Hamburg.

(RP/rl)
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