Mönchengladbach Geduldet - auf 16 Quadratmetern

Mönchengladbach · Sie haben ihre Heimat Serbien verlassen, in der Hoffnung, ihren Töchtern eine bessere Zukunft bieten zu können. Familie Zecirovic lebt seit zwei Monaten im Asylbewerberheim Luisental: sechs Personen in einem Zimmer mit einem Bett.

 Andriana freut sich über den Besuch von Eddi Erlemann.

Andriana freut sich über den Besuch von Eddi Erlemann.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Die vierjährige Neza und ihre zweijährige Schwester Sanja streiten sich. Lautes Kindergeschrei, es geht um ein kleines Plastikspielzeug. Andriana (10) und Vanessa (6) schauen sich einen Zeichentrickfilm im Fernseher an. Der Vater der vier Mädchen, Andrea Zecirovic, versucht, die beiden Türen der Spüle wieder in die richtige Position zu bringen. Aussichtslos. Die Scharniere sind ausgelutscht, die halten nie mehr etwas. Seine Frau Sanja kippt kochendes Wasser in die bereitgestellten Tassen. Es gibt Kaffee.

 23 Zimmer für 23 Familien: Über jeder Tür steht eine Nummer.

23 Zimmer für 23 Familien: Über jeder Tür steht eine Nummer.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Eine ganz normale Familie. Sechs freundliche Menschen, die auf 16 Quadratmetern leben. Ein 90 Zentimeter breites Bett, ein Herd, eine Spüle, ein Kühlschrank, ein Teppich — sonst nichts. Seit zwei Monaten ist Familie Zecirovic im Asylbewerberheim im Luisental untergebracht. Geduldet. Für wie lange? "Das wissen wir nicht", sagt Sanja Zecirovic.

 Sanja Zecirovic in der kombinierten Spül- und Waschküche.

Sanja Zecirovic in der kombinierten Spül- und Waschküche.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Die vierfache Mutter ist in Deutschland aufgewachsen. Sie lebte mit ihrer Familie an der Hohenzollernstraße — "in einer richtigen Wohnung". Sie besuchte die Schule, lernte Deutsch. Dann kam die Abschiebung — zurück nach Serbien. "Da war ich elf Jahre alt." Jetzt ist sie wieder hier. Mit den Kindern ist sie nach Mönchengladbach gekommen, ihr Mann folgte der Familie vor einem Monat. Er spricht kein Deutsch. Auch die Kinder nicht.

Die Eltern dürfen nicht arbeiten. "Wer nur geduldet ist, bekommt auch keine Arbeitserlaubnis", sagt Eddi Erlemann. Er ist zu Besuch im Asylbewerberheim — wie so oft. Andriana ist ihm um den Hals gefallen, als er die bescheidene, aber saubere Heimstatt der Familie betreten hat. Neza stopft dem ehemaligen Regionaldekan und Mitbegründer des Volksvereins einen Schokokuss nach dem anderen in den Mund. Vanessa schenkt ihm eine Tafel Trauben-Nuss-Schokolade.

"Wie geht es euch?", fragt Erlemann. "Gut", sagt Sanja Zecirovic strahlend. Um sich sofort zu korrigieren: "Nein, nicht so gut. Wir haben eine Ablehnung bekommen." Der Status der Duldung der Familie läuft im Februar aus. Sanja hat einen Anwalt eingeschaltet. "Der hat einen Brief geschrieben, er sagt, alles wird gut." Das Damoklesschwert Abschiebung schwebt täglich, stündlich, minütlich über der Familie. In der Heimat müssten die sechs in noch größerer Armut leben. "Da hätten wir nicht mal einen Herd."

Vanessa soll ab September die Grundschule besuchen. Sie ist schon angemeldet und aufgenommen worden. Ihre zehnjährige Schwester wurde von keiner Schule angenommen. "Ich kenne den Grund nicht", sagt ihre Mutter. "Ich wurde aufgefordert, mich beim Amt zu melden." Das wird sie tun.

Der Tagesablauf der Familie ist immer gleich. Morgens werden die Matratzen, auf denen die meisten von ihnen auf dem Boden des 16-Quadratmeter-Zimmers geschlafen haben, hinter und unter dem metallenen Bettgestell verstaut. Die Familie wäscht sich, zieht sich an. 23 Zimmer befinden sich in der Holzbaracke. Über jeder Tür steht eine Nummer. Familie Zecirovic lebt in der 23.

Eine Damentoilette und eine Herrentoilette gibt es — am Ende des dunklen Flurs. Dort wird auch geduscht. Weil es in der Damendusche nur kaltes Wasser gibt, benutzen alle die in der Herrendusche. 13 Familien sind hier derzeit untergebracht, 13 Familien — jede davon in einem Zimmer. Menschen aus Serbien, dem Kosovo, aus Mazedonien und Afrika. Viele Kinder, Säuglinge.

Die Nachbarin von gegenüber zieht Eddi Erlemann auf die Seite. Sie hat einen Säugling auf dem Arm — und keine einzige Windel mehr. Der Geistliche wird sich später darum kümmern. Eine andere Nachbarin, Mutter von drei Kindern, das jüngste gerade sieben Tage alt, spricht Eddi Erlemann an. Sie hat einen Ausschlag im Mund. Der Arzt hat ihr Medikamente verschrieben, die sie nicht bezahlen kann. Eddi Erlemann verspricht, zu helfen.

Er gehört mit seinem Volksverein zum Netzwerk "Willkommen für Flüchtlinge in Mönchengladbach". Das Bündnis, dem auch der ökumenische Arbeitskreis Asyl der Pfarre St. Vitus, der Arbeitskreis für Asylfragen Rheindahlen, die Falken, das Friedensforum, der Sozialdienst Katholischer Männer, der Flüchtlingsrat, der Asta der Hochschule und der Verein Kulturkram angeschlossen sind, hatte einen Appell an Politik und Verwaltung gerichtet. Dieser verweist auf die menschenunwürdigen und lebensbedrohlichen Zustände in den Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbewerber Bockersend, Hardter Straße und Luisental. Darauf wurde bisher nicht reagiert. "Immerhin haben die Grünen beantragt, das Thema in der Ratssitzung zu behandeln", sagt Erlemann. Dieser Antrag hatte die Unterstützung der Linken und der SPD gefunden. "Dass der Antrag von der Mehrheit der Ratsfraktionen abgelehnt wurde, ist der eigentliche Skandal."

(RP)
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