80 Jahre Reichspogromnacht Mahnung vor neuem Antisemitismus

Mönchengladbach · Vor 80 Jahren brannte auch die Synagoge an der Blücherstraße nieder. Am Mahnmal und im Haus der jüdischen Gemeinde wurde am Freitag der Opfer der Reichspogromnacht gedacht – und vor neuen Ressentiments gewarnt.

 Lea Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, trug bei ihrer Rede den gelben Stern am Mantel.

Lea Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, trug bei ihrer Rede den gelben Stern am Mantel.

Foto: Jürgen Körting

Anlässlich der zentralen Gedenkstunde zum 50. Jahrestag der Pogrome hatte Pfarrer Aring von seinen Erinnerungen an den Tag nach dem 9. November 1938 erzählt. Als Zwölfjähriger hatte er die große Synagoge an der Blücherstraße in Flammen stehen sehen. Gelöscht wurde nicht – nicht von der Feuerwehr, nicht von der Polizei, nicht von Umstehenden. 30 Jahre später zitierte Oberbürgermeister Hans-Wilhelm Reiners aus den Aufzeichnungen, um am authentischen Ort der Vergangenheit zu erinnern und „daraus Kraft und Erkenntnis für unser heutiges Leben“ zu gewinnen. „Erst die bewusste Auseinandersetzung mit den Ereignissen der Nazizeit lässt eine Verarbeitung zu und schafft die Voraussetzung für ein friedliches, respektvolles, selbstverständliches Zusammenleben aller Menschen in Mönchengladbach“, so Reiners.

Unter dem Motto „Nie wieder schweigen“ hatten die Jüdische Gemeinde, die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und die Gesellschaft der christlich-jüdischen Zusammenarbeit mit der Stadt am Freitag zum Gedenken am Mahnmal und ins Haus der jüdischen Gemeinde eingeladen. Lea Floh, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, trug am Mantel den gelben Stern, das von den Nationalsozialisten eingeführte Zwangskennzeichen. Eindringlich erinnerte sie an sechs Millionen Juden, die ermordet, vergast, zu Tode gefoltert wurden. Sie erinnerte an das Trauma der Überlebenden, an die Vernichtung jüdischer Kultur. „Judenhass und Verfolgung haben nicht am 9. November 1938 begonnen“, mahnte Floh zur Sensibilisierung gegenüber Antisemitismus. Der sei niemals weg gewesen, sondern werde 80 Jahre nach der Pogromnacht wieder lauter und salonfähig.

 Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners zitierte in seine Ansprache aus Erinnerungen des Pfarrers Aring.

Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners zitierte in seine Ansprache aus Erinnerungen des Pfarrers Aring.

Foto: Jürgen Körting

Floh und Rabbiner Yitzhak Hoenig reihten sich in den Chor ein, der die Gebete „El Male Rachamim“ und „Kaddish“ anstimmte. Mit kräftiger Stimme fügte der Rabbiner Namen von Konzentrationslagern ein. Die Gedenkveranstaltung fand ihre Fortsetzung im Haus der jüdischen Gemeinde an der Albertus-Straße. Hier rief Reiners entschieden auf zum Widerstand gegen Hass und Ressentiments. Anhänger von Verschwörungstheorien und Holocaustleugner seien in der Politik angekommen. Das mache ihm Sorge, so Reiners. Rabbiner Hoenig mahnte am Beispiel eines Gleichnisses Erinnern und Handeln an. „Wir müssen erinnern, wir müssen warnen, aber vielmehr noch müssen wir in die Zukunft sehen und verstärkt an der Erziehung arbeiten für mehr Verständnis zwischen den Religionen und gesellschaftlichen Gruppen“, so der Rabbiner. Pfarrer Hans-Ulrich Rosocha bekannte: „Damals schauten die Menschen zu und die christlichen Kirchen schwiegen. Wir schämen uns dafür.“ Pfarrer Wolfgang Bußler bedauerte, dass der 9. November bis heute kein nationaler Trauertag ist.

 Zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht wurde am Standort der Gladbacher Synagoge an der Blücherstraße ein Kranz niedergelegt.

Zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht wurde am Standort der Gladbacher Synagoge an der Blücherstraße ein Kranz niedergelegt.

Foto: Jürgen Körting

Im eindringlichen Appell forderte Lea Floh die Besucher auf: „Suchen Sie das Gespräch mit Shoah-Überlebenden.“ Davon leben noch 170 in der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. Deren seelische Wunden würden sich niemals schließen, denn so Floh: „Zerstörte Städte werden wiederaufgebaut, zerstörte Seelen nicht!“ Im Bezug auf das Motto „Nie wieder schweigen“ forderte sie auf: „Wer Antisemitismus rechtzeitig bekämpfen will, fängt bei der antisemitischen Information an.“ Hier fehle es ihr oft an Schwung und Priorität.

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