Mönchengladbach Fußballfans besuchen Terror-Orte der Stadt

Mönchengladbach · Bei einer Rundfahrt gegen Rassismus beschäftigen sich Borussias Anhänger mit dem Nationalsozialismus in Mönchengladbach.

Alte Borussia-Liebe neu verfilmt
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Es ist lausig kalt auf dem Mönchengladbacher Hauptfriedhof. Die Abenddämmerung setzt langsam ein, der eisige Wind tut sein Übriges. Und die Geschichte, die Karl Boland erzählt, kann auch nicht erwärmen. Der Referent der Theo-Hespers-Stiftung spricht über junge Männer aus Polen und Russland, die in der Zeit des Nationalsozialismus zur Arbeit in der Vitusstadt zwangsrekrutiert wurden und hier zu Tode kamen. Etwa 70 Gräber liegen etwas versteckt auf dem Friedhof, der Schnee verdeckt ihre Tafeln.

Karl Boland muss dabei nicht laut sprechen. Er ist gut zu verstehen, denn seine Zuhörer sind mucksmäuschenstill. 24 Stunden später wird das bei vielen ganz anders aussehen, dann unterstützen sie lautstark ihre Borussia im Bundesliga-Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf. Das Jugendzentrum "De Kull" im Gladbacher Fanprojekt hat die historische Stadtrundfahrt organisiert. Im Rahmen des "Erinnerungstages im deutschen Fußball" besuchen die Teilnehmer Orte in Mönchengladbach, die mit den Gräueltaten während des Nazi-Regimes in Verbindung stehen.

"Wir hatten eine gute Resonanz, so dass ich kurzfristig noch einen größeren Bus bestellt habe. Vor allem haben wir eine schöne Mischung aus interessierten Bürgern, Fußballfans und unseren Jugendlichen dabei", sagt Philip "Peppo" Hülsen. Der Sozialpädagoge arbeitet hauptamtlich im Fanprojekt und hat die Tour gemeinsam mit der Theo-Hespers-Stiftung ausgearbeitet. "Uns war besonders wichtig, dass wir Standorte auswählen, die nicht für jeden offensichtlich etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun haben", sagt Hülsen.

So steuert der Bus zunächst den Nordpark an, dann den Hauptfriedhof, ehe es ins Stadtzentrum zum Konrad-Adenauer-Platz geht. Überall berichtet Karl Boland kenntnisreich über den Bezug der Orte zum Terror-Regime und liefert zugleich viele Details zur Stadtgeschichte. "Vieles war mir vorher nicht bekannt. Rassismus ist ein wichtiges Thema, das wir im Jugendzentrum des Öfteren ansprechen", sagt Borussenfan Kevin (17), während Boland sehr glücklich ist über die gelungene Kooperation. "Die Jugendlichen hören natürlich in der Schule etwas über den Nationalsozialismus. Doch es ist etwas anderes, wenn sie an konkreten Orten mit diesem Thema konfrontiert werden", sagt Boland.

Und mit der dreistündigen Rundfahrt endet die Aktion noch nicht. Im Fanhaus folgt eine Diskussionsrunde, inwieweit Rassismus im Fußball aktuell eine Rolle spielt. "Mönchengladbach ist keine Oase, die Gefahr, dass junge Menschen in die Fänge fremdenfeindlicher Gruppen geraten, ist auch hier vorhanden", sagt Axel Rayczik. Der Borussenfan ist bereits seit Jahren in der Theo-Hespers-Stiftung aktiv. "Es ist sehr wichtig, dass sich das Jugendzentrum diesem Thema annimmt und Präventionsarbeit betreibt", sagt Rayczik.

Bei den jugendlichen Fans hat der Nachmittag auf jeden Fall Eindruck hinterlassen. Als der Stiftungsvorsitzende Ferdinand Hoeren zum Schluss erzählt, dass im Zweiten Weltkrieg 1332 Menschen in Gladbach aus rassistischen Gründen umgekommen sind, ist es wieder ganz still unter den Zuhörern. Dort, wo einen Tag später Borussias Derbysieg lautstark gefeiert wird.

(togr)
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