Serie Denkanstoss Fronleichnam: Auf die Straße gehen für Liebe und Achtung

Mönchengladbach · Der Läufer wurde am Tag vorher aufgerollt und sorgfältig auf der Stange ausgeklopft, denn ob in der Haustüre oder im Fenster, der Teppich bildete die Grundlage. Die silbernen Kerzenleuchter vom Festtagstisch lagen bereits seit einigen Tagen frisch geputzt in der Schublade, die Pfingstrosen wurden erst am frühen Morgen im Garten gepflückt. Nun musste nur noch das große Kreuz im elterlichen Schlafzimmer von der Wand genommen und auf einen provisorischen Fuß gesteckt werden, dann konnte mit dem Aufbau angefangen werden.

In meiner Kindheit begann mit dem Herrichten des Hausaltares jedes Fronleichnamsfest. Unsere Wohnung lag direkt am Weg, den die Prozession nahm, und natürlich schmückte man für sie die Häuser. Zwar wusste ich bereits als Kind, dass man mit den Hausaltären Christus selbst grüßte, der in der Gestalt des Brotes unter dem Baldachin feierlich in der Monstranz vorüber getragen wurde, doch blickte ich immer voll Freude und auch etwas stolz auf unseren Hausaltar. Denn auch wenn wir beim Zug an größere Aufbauten, eindrucksvolleren Heiligenfiguren, aufwendigeren Kerzen vorüber kamen, unser Altar blieb für mich der schönste.

Wie fern scheint uns heute zumindest im städtischen Bereich solches Brauchtum. Wissen heute schon viele Menschen nicht mehr den Festinhalt von Fronleichnam zu benennen, so sind erst recht Sinn und Zweck von Hausaltären verlorengegangen. Vielleicht sogar mit Recht? Ist es nicht ein Brauch wortwörtlich aus dem vorigen Jahrhundert und schon damals eher anachronistisch ein Relikt aus mittelalterlichen Denken?

Und müssen wir nicht noch kritischer fragen, ob das Fest selbst mit Prozession und Fahnen, Schellen und Glocken, Blumen und Girlanden noch zeitgemäß ist? Zeigt nicht bereits der Name "Fronleichnam", wie angestaubt, wie überholt dieser Tag ist?

In der Tat bewahren Feste, genau so wie Flur- und Gebietsnamen, gerne alte Wortformen. "Fro" ist ein altes Wort für "Herr" und mit "licham" bezeichnete man früher den Körper, den Leib; und so benennt der Festname eigentlich sehr präzise seinen Inhalt: "Herrenleib". In der konsekrierten Hostie wird Christus selbst erkannt und verehrt und aufbewahrt in der Monstranz durch unsere Straßen und Gassen getragen. So ruft uns Fronleichnam schlicht und einfach zu: Gott ist bei uns, Gott geht mit uns, seine Liebe zieht mit uns durch unser Leben, durch unsere Welt.

Wirklich ein anachronistischer Zuruf! Denn wir leben doch in einer Welt, in der Karnevalszüge mit Betonpfeilern abgesichert werden müssen, jedes große Fußballspiel ein Sicherheitskonzept erfordert, Menschenversammlungen auf Plätzen mit Sicherheitsschleusen durchleuchtet werden, Musikevents durch verdächtige Besucher verschoben werden, Polizeipräsenz Menschen vor Menschen beschützen soll und dergleichen mehr. Denn Terror und Hass haben sich in dieser Welt breitgemacht!

Aber dürfen wir uns mit dieser Wirklichkeit abfinden? Müssen wir nicht alle dagegen aufstehen, dagegen gemeinsam angehen, damit das Für- und Miteinander in unserer komplexen, komplizierten Welt wieder eine Chance erhält? Müssen wir nicht alle auf die Straße gehen, um für die Liebe, für Achtung und Wertschätzung des anderen zu demonstrieren? In einer solchen Perspektive verändern sich die Vorzeichen, und was eben noch anachronistisch schien, zeigt sich als die wirklich zeitgemäße Antwort! Für mich jedenfalls steht fest: Wenn es das nicht schon gäbe, man müsste heute Fronleichnam erfinden.

DER AUTOR IST PFARRER VON ST. MARIEN UND VOM TROSTRAUM ST. JOSEF, GRABESKIRCHE.

(RP)
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