Mönchengladbach Frau am Hals - auch das kann Kunst sein

Mönchengladbach · Mit einer Performance der Atelierstipendiatin Angelika Fojtuch endet die Ausstellung "Refugium" des Kunstvereins "Mischpoke" im BIS-Zentrum. Mehr als 60 Leute erleben das Spektakel mit. Am Ende liegt die Künstlerin still am Boden.

 Bei der Performance im BIS: Künstlerin Angelika Fojtuch umklammert einen Besucher. Manche Besucher schauen betont weg.

Bei der Performance im BIS: Künstlerin Angelika Fojtuch umklammert einen Besucher. Manche Besucher schauen betont weg.

Foto: Isabella Raupold

Kunst will berühren, verändern. Anders wäre sie Deko. Diesem Anspruch setzen sich die jungen Maler und Bildhauer aus, die in den letzten Wochen unterm Dach des BIS-Zentrums eine abgerissene Wohnung mit ihren Arbeiten umdeuten. Auch der einladende Kunstverein "Mischpoke" folgt diesem Konzept einer (temporären) Veränderung von Lebensraum durch Kunst. An die 200 Besucher hatten zur Eröffnung von "Refugium" die Räume der ehemaligen VHS zum Nabel der städtischen Kunstszene gemacht, jetzt kamen wieder beachtliche 60 bis 80 zur Finissage. Sie wollten die Performance von Angelika Fojtuch erleben, die zurzeit als Atelierstipendiatin der Stadt an der Steinmetzstraße lebt.

 Das Ende einer Performance: Reglos liegt die Künstlerin auf dem Boden.

Das Ende einer Performance: Reglos liegt die Künstlerin auf dem Boden.

Foto: Raupold, Isabella (ikr)

Fojtuch nutzt die Kraft ihrer Person, ihre Präsenz für Aktionen, die sie auf der Straße, in Parks oder in Museen aufführt. Punkt 15.15 Uhr gibt sie den Aufgang frei zur Treppe hinauf unters Dach, wo sie in einem Raum stehend zusieht, wie die Besucher eintreten, sich an die Wände drängen. Wer sie nicht kennt, wird die Künstlerin für eine Besucherin halten. Sie schaut mit großen Augen die Eintretenden an, steht im schwarzen Kleid am Fenster, um ihre Fesseln hat sie zwei verschiedenfarbige Halstücher geschlungen. Dann wird es erwartungsvoll still, atemlos. Vögel zwitschern, Verkehrslärm dringt herauf. Die 35-jährige Polin macht den ersten Schritt. Heraus aus der Masse. Dann noch einen auf die leere Raummitte zu. Erstarrt zur Pose mit in die Hüfte gestemmtem Arm. Wendet sich wenige Sekunden später einem Mann zu, dem sie mit wehmütigen Augen wie flehend leise einige Male ein (polnisches?) Wort sagt. Und wirft sich im nächsten Moment dem Mann um den Hals. Mit dem Gewicht ihres Körpers hängt sie ganz an ihm, der reflexartig sie auffängt, hält.

Schier endlos wirken die folgenden Minuten, in denen die Gesellschaft sieht, wie da zwei Menschen alle Kraft aufwenden, nicht zusammenzubrechen, wie die Muskeln anfangen zu zittern, die Energie erlahmt, der Mann die Frau endlich am Boden ablegt. Weitere Ewigkeiten schließen sich an, die Frau bleibt mit gekrümmten Gliedmaßen am Boden auf dem Rücken liegen. Die Augen geschlossen, zunehmend ruhiger atmend, wie tot. Erwachsene, Kinder stehen, schauen, denken. Was geht hier ab? Bin ich Opfer, Täter, Akteur, Rezipient? Ist das Kunst, heiße Luft? Die ersten gehen nach quälend langen 15 Minuten betroffenen oder befremdeten Ausharrens hinaus. In die Nebenräume. Oder ins Café. Leise beginnen Gespräche, ein Besucher nimmt Frau Fojtuchs Hand, aber sie mag sich nicht rühren.

Nebenan gellen jetzt Schreie aus einem dunklen Zimmer, das Video einer ganz anderen Angelika-Fojtuch-Performance. Gleichfalls gruselig. Da ist das Interesse an der realen Performance-Künstlerin unter den Besuchern bereits erlahmt. Letzte Kameras klicken. Noch ein einziger Video-Filmer harrt aus. Aber Angelika Fojtuch liegt.

(ark)
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