Mönchengladbach Finanzexperte zerpflückt Sparkonzept

Mönchengladbach · Ausgaben zu niedrig, Einnahmen zu hoch angesetzt: So kommentiert Finanzwissenschaftler Harald Schoelen den Haushaltssanierungsplan (HSP). Zudem mahnt er in seinem Gutachten an, das Theater in die Sparüberlegungen einzubeziehen. Für die IHK ist der HSP "zum Scheitern verurteilt".

 Prof. Dr. Harald Schoelen (45) lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Niederrhein.

Prof. Dr. Harald Schoelen (45) lehrt Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Niederrhein.

Foto: Detlef Ilgner

Der Haushaltssanierungsplan (HSP) verlässt sich "zu stark auf Ausgabenkritik und massive Mehreinnahmen, die niemand in dieser Höhe auch nur annähernd sicher bestätigen kann".

Ein Satz wie ein Donnerhall, zumal er von einem Mann kommt, dessen Wort Gewicht hat — Prof. Dr. Harald Schoelen, Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule Niederrhein. Der Finanzexperte hat im Auftrag der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein den HSP-Entwurf ausgewertet und seinem Gutachten, das gestern vorgestellt wurde, den vielsagenden Titel "Vorsicht Irrwege" gegeben.

Keine Konjunkturschwankungen

Speziell die geplanten — und gestern in einer Stellungnahme der Ampelfraktionen leicht abgemilderten — Realsteuererhöhungen bezeichnet Schoelen als "überaus schädlich", was den regionalen Standortwettbewerb angeht. Es sei eine "Illusion" zu glauben, dass Unternehmen das Signal einer Erhöhung einfach ignorieren würden.

"Die Steuererhöhung wird de facto großflächige Gewerbeansiedlungen behindern und eine nunmehr größere Belastungsschraube für die Bevölkerung sein", schreibt Schoelen. Der gestern vorgestellte Plan, den Gewerbesteuerhebesatz "nur" auf 475 Punkte (statt 485, von 450) und den der Grundsteuer B "nur" auf 520 (statt 530, von 475) anzuheben, stelle zwar eine "Linderung" gegenüber den ursprünglichen Absichten dar, sagt Schoelen. Aber auch: "Das verschafft der Diskussion etwas Luft, aber das Thema wird wiederkommen." An den grundsätzlichen Aussagen seines Gutachtens ändere sich dadurch nichts.

Und in diesem befindet er: Während die Stadt bei den prognostizierten Einnahmen sehr optimistisch rechnet ("Die Ertragsansätze sind [...] in den wesentlichen Positionen überzeichnet"), geht sie bei den prognostizierten Ausgaben von "moderaten bis geringen Fortschreibungen" aus ("Die Aufwendungen sind in wesentlichen Punkten unterdimensioniert"). Speziell die Transferaufwendungen habe man mit sehr niedrigen Steigerungsraten fortgeschrieben. Bei den Schlüsselzuweisungen hingegen gehe man davon aus, auch weiterhin im gegenwärtigen Ausmaß vom Land NRW begünstigt zu werden. Dies sei jedoch "kaum realisierbar". Ferner fehlten dem Konzept eine Würdigung der Inflationsgefahren sowie die konjunkturellen Schwankungen: "Es wird davon ausgegangen, dass die Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren kontinuierlich wachsen wird. Dies ist mehr als unwahrscheinlich."

Die vielleicht größte Problematik des HSP-Entwurfs ist für den Finanzexperten allerdings die Tatsache, dass ein langfristiges, strukturelles Gesamtkonzept fehle — speziell in den so genannten aufgabenkritischen Bereichen. "Hier wird zu sehr die Frage gestellt: ,Wo können wir etwas wegnehmen?', anstatt zu fragen: ,Welche Aufgaben müssen wir als Stadt wirklich machen?'", sagt Schoelen. Dadurch könnte der Belastungsdruck gemildert werden, gerade wegen der realwirtschaftlichen Unwägbarkeiten — die es wiederum erforderten, noch weiteres, "nachhaltiges Konsolidierungspotenzial" aufzutun.

Ein solches sieht er etwa im Bereich der Kultur, die im HSP-Entwurf fast ganz unangetastet bleibt. "Das Theater ist gut und wichtig", sagt Schoelen. Doch es handele sich, auch durch die Kooperation mit Krefeld, weiterhin um eine freiwillige Leistung — 12,8 Millionen Euro alleine für die Spielzeit 2012/13. "Man kann als Stadt nicht so tun, als würde die Bezirksregierung da nicht spätestens dann draufschauen, wenn die Konsolidierungserfolge ausbleiben.

Im eigenen Interesse muss schon jetzt definiert werden, wo dort Konsolidierungspotenzial besteht." Als richtig erachtet Schoelen es, dass die Ampel nun ankündigte, einige harte Einschnitte bei den sozial Schwächsten nicht zu realisieren. Gebührenerhöhungen für Leistungen hingegen seien ein gangbarer Weg. Als völlig falsch erachtet er den Reflex der Ampel, die gestiegenen Erträge durch die Schlüsselzuweisungen, die bisher im übrigen lediglich auf Grundlage einer Modellrechnung vorliegen, sofort wieder zu "verteilen". Sein Fazit: Die rechnerische Möglichkeit eines Haushaltsausgleichs dürfe die Stadt nicht in Sicherheit wiegen — denn sie sei "noch nicht auf einem wirklich realisierbaren Weg zur ,eigenen' schwarzen Null im Jahr 2021."

Die IHK kommentierte das Gutachten klipp und klar: "Es liegt geradezu auf der Hand, dass dieser HSP zum Scheitern verurteilt ist", sagte Präsident Heinz Schmidt. "Die Landesregierung wird den Geldhahn bald schon zudrehen, da NRW die Schuldenbremse einhalten muss. Wir befürchten, dass die Gladbacher Politik dann weitere Steuererhöhungen für Bürger und Wirtschaft beschließen wird", kommentierte Hauptgeschäftsführer Dr. Dieter Porschen die Ampel-Pläne. "Die Büchse der Pandora ist bereits weit geöffnet worden".

(RP/rl)
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