Serie Denkanstoss Ferien - Zeit der Experimente

Mönchengladbach · Eltern sollten ihren Kindern Pausen gönnen. Denn das Leben besteht nicht nur aus Leistungsdruck.

Ferienbeginn — wochenlang haben die Kinder und Jugendlichen in den Schulen auf diesen Termin hingefiebert. Für viele der Beginn der schönsten Zeit des Jahres, für ebenso viele aber auch der Beginn einer Zeit der Ungewissheit: Was wird nach den Ferien sein? Wie geht es im September weiter mit mir? Werde ich den Anforderungen, die an mich gestellt werden, noch gerecht? Kann ich mit den anderen mithalten? Wer wird mich überrunden, wer mich abservieren? Mit wem werde ich die nächste Zeit verbringen?

Ich kann mich an meine eigene Schulzeit erinnern, daran, dass da vor mir sechs schier endlose Wochen des "Nichts" lagen, die sich dann aber schon in den ersten freien Tagen zu füllen begannen. Der Urlaub mit der Familie, Unternehmungen mit Freunden, oft verrückte Aktionen aller Art... Und danach? Geht's halt wieder weiter... Das scheint heute im Zeitalter von verkürztem Gymnasium und Globalisierung, im Zeitalter von PISA-Studien und Leistungsdruck schon in den frühen Schuljahren der Vergangenheit anzugehören.

Das Hamsterrad des "immer weiter" dreht sich für viele Schülerinnen und Schüler schon jetzt schneller, als es für ihre Entwicklung gut sein könnte. Viele, die in den großen Ferien an Kursen zur Steigerung der schulischen Leistungen teilnehmen. Viele, die die Ferien zu einer systematischen Nachhilfe in den Fächern nutzen, in denen sie auf dem Zeugnis "nur" ein "befriedigend" erbracht haben. "Damit kannst Du keinen Blumentopf gewinnen..."

Wenn schon in der zweiten Klasse der weiterführenden Schule, im sechsten Schuljahr also, ein Notendurchschnitt von unter "2" von den Eltern so kommentiert wird, dann scheint mir da einiges schief zu laufen.

Liebe Eltern, liebe Großeltern, liebe große Geschwister! Lasst Euren Kindern, Enkeln und kleinen Geschwistern doch auch 'mal eine Atempause. Die haben sie sich, wie alle anderen auch, redlich verdient. Auch wenn in den letzten Tagen nicht mehr viel an der Schule gelaufen ist, wie manche beklagen.

Schule ist, davon bin ich überzeugt, als Lernort vor allem ein Lernort für das Leben. Dass es da natürlich auch Lehrpläne mit Wissensstoff geben muss, ist mir vollkommen klar. Und dennoch: Zum Leben gehören auch Phasen des Durchatmens, ja auch des Faulenzens.

Schade, ja katastrophal wäre es, wenn etwa die Erfahrung eines "chilligen" Abhängens auf einer sommerlichen Blumenwiese nicht mehr gemacht würde - weil dem der anstehende Lehrstoff im Wege steht.

Gönnen wir unseren Kindern und Jugendlichen diese Zeiten der Muße — die übrigens die allermeisten von uns zu ihrer Zeit in vollen Zügen genossen haben! Da tut es gut, auch einmal in den eigenen Ferien-Erinnerungen zu graben. Ferienzeit — Zeit auch der Experimente: Warum nicht einfach selbst einmal auf das allgegenwärtige Mobiltelefon verzichten? Abschalten können ist heute zu einer Kunst geworden, die viele nicht mehr beherrschen.

"Unterrichten" wir unseren Nachwuchs in dieser so wichtigen Kunst? Oder schaffen wir selbst als Erwachsene den Sprung auf die Blumenwiese nicht mehr, weil wir ständig erreichbar sind und nie abschalten können?

Die Kinder und Jugendlichen kehren nach den großen Ferien als andere Menschen in ihre Schulen zurück. Das ist so. Ich hoffe und wünsche mir aber: als gereifte Persönlichkeiten, die während der schulfreien Zeit kräftig durchgeatmet und erfahren haben, dass das Leben nicht nur aus Leistungsdruck und Schulnoten besteht.

Vielleicht können wir ja auch etwas von ihnen lernen: neue Arten, freie Zeit zu nutzen, der Kreativität freien Lauf zu lassen auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt hinein.

Dann wäre die Ferienzeit sicher bestens genutzt!

ULRICH CLANCETT IST PFARRER IN JÜCHEN UND REGIONALDEKAN

(RP)
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