Doktor-Kolumne Kleine Paschas und Diven sind später weniger erfolgreich

Mönchengladbach · Unsere Kolumnistin erklärt, warum es wichtig ist, dass Kinder Aufgaben im Haushalt übernehmen. Sie verweist auf Studien, die belegen, dass sich Alltagskompetenz ebenso stark auf den Schulerfolg auswirkt wie die Bildung der Eltern.

 Renate Harnacke

Renate Harnacke

Foto: hpr

Das neue Jahr ist einige Wochen alt, und vielerorts beginnen die neuen Vorsätze in ihrer Umsetzung zu „bröckeln“. In Familien mit dem Vorsatz, die Kinder mögen sich mehr und zuverlässiger an der Hausarbeit beteiligen, kommt es zu „Nörgeleien“ und zunehmenden Versuchen, durch Ausflüchte den Pflichten zu entkommen. Eltern beginnen, erneut darüber nachzudenken, dass ihre eigenen Hausarbeitsergebnisse schneller und gründlicher seien, eine Kindheit ohne Hausarbeit vielleicht besser sei und es auch etwas für sich habe, Streit in der Familie zu vermeiden.

Diese Art elterlicher Überlegungen sind falsch! Warum?

Laut Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie sind Menschen, die sich als Kinder an der Hausarbeit beteiligt haben, nachgewiesenermaßen erfolgreicher als solche, die als „Diven“ oder „Paschas“ in einer Art „Elternhotel“ elebt haben. Es lohnt sich also, Kinder dazu anzuleiten, sich in Hausarbeiten einzubringen.

Hier ist zunächst wie bei allem Lernen das Vorbild wichtig: Wer Aufgaben im Haushalt gelassen und mit Freude erledigt, vermittelt: Hausarbeit gehört zum Leben und ist mitnichten nur ein lästiges Übel. Schon sehr früh, etwa mit zwei Jahren, sollten Kinder beginnen, altersgerechte Erledigungen mit zu verrichten, zum Beispiel dabei den Tisch zu decken. In diesem Alter tragen Kinder begeistert etwas bei, das Wir-Gefühl in der Familie wird gestärkt und ein Helfen auch später wird wie selbstverständlich eingeleitet. Wer „greift“, der „begreift“. Das bedeutet, dass ein Kind, das vier Becher auf den Tisch stellt, gleich verinnerlicht, dass vier mehr sind als eins. Dass es etwas über Materialien, deren Gewicht und möglicher Zerbrechlichkeit lernt und – sofern die Becher unterschiedliche Farben haben – auch noch diese „wie nebenbei“ erfasst. Ein kinderärztliches Buch mit dem Titel „Topfit für die Schule durch kreatives Lernen im Familienalltag“ kann an dieser Stelle sehr empfohlen werden.

Der Verzicht auf die Mitarbeit von Kindern im Haushalt bedeutet einen Verzicht auf die effektivste Fördermaßnahme, die Kinder im Vorschulalter haben können.

Wenn sich 50 Prozent der Vierjährigen, die sich nicht alleine anziehen können, dies bis zum Eintritt in die Schule beibehalten, fehlen ihnen 150 Stunden Wahrnehmungsförderung. Wenn sich 50 Prozent der Vierjährigen, die noch kein Brot schmieren können, dies bis zum Eintritt in die Schule beibehalten, fehlen ihnen 140 Stunden Training für Kraftdosierung. Studien belegen, dass sich Alltagskompetenz ebenso stark auf den Schulerfolg auswirkt wie die Bildung der Eltern. Außerdem reifen motorische und koordinative Fähigkeiten, Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Souveränität.

Es gehört zum Kindsein dazu, Grenzen testen zu wollen, wozu auch gehört, dass Kinder und Jugendliche gerne immer wieder versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Hier ist es erzieherisch hilfreich, Alternativen anzubieten. Zum Beispiel: „Möchtest du die Wäsche aufhängen oder lieber Kartoffeln schälen?“ Auf Vorlieben sollten Eltern gerne Rücksicht nehmen, nicht jedoch von ihrer Forderung abweichen, dass ein Beitrag geleistet werden muss.

Für Wichtiges ist es lohnend zu streiten und wahrscheinlich muss nur selten darauf verwiesen werden, dass sogar das Bürgerliche Gesetzbuch im Paragraph 1619 vorschreibt, dass Kinder und Jugendliche, solange sie im elterlichen Haushalt leben, zur Mithilfe verpflichtet sind. Ab 14 Jahren hält das Gesetz sieben Stunden Mitarbeit pro Woche für angemessen. Kinder- und jugendärztlicherseits sind hier natürlich flexible Vorgehensweisen möglich.

Renate Harnacke ist Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Mönchengladbach.
Foto: Reichartz

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